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Was das Krafttraining über die Liebe lernt. Eine Verführung zum Nachdenken.

Wir alle wissen, dass eine erstrebenswerte Fitness nicht selbstverständlich oder gar gottgegeben ist. Sie braucht Zeit, Hingabe, Disziplin, Wissen und vor allem Tun. Eine gute Fitness heisst, ständig daran zu arbeiten, ohne wirklich anzukommen. Sie ist ein Prozess und kein Zustand. Sie braucht lebenslange Pflege.

Was für die Fitness vollkommen klar und logisch erscheint, gilt aber auch in der Welt der Liebe. Fast alle Menschen wollen eine erstrebenswerte und lebendige Partnerschaft. Aber sind sie auch bereit den Preis dafür zu bezahlen? Für eine erquickende Partnerschaft braucht es ähnliche Zutaten wie für eine stimmige Fitness. Neben der Liebe sind es eben auch Zeit, Hingabe, Disziplin und Tun. Dazu kommen die Beziehungskonflikte. Sie haben richtig gelesen. Konflikte. Keiner will sie, jeder hat sie. Doch so wie der Muskel im Krafttraining am Widerstand wächst, so wächst der Mensch an den Konflikten in einer Beziehung. Zwischen diesen beiden Welten gibt es also zahlreiche Gemeinsamkeiten.

Ich schäle drei Punkte heraus, die wir vom Fitnesstraining auf die Welt der Liebe übertragen können. Richtig verstanden, können diese die eigene Partnerschaft ‚kräftigen.’ Es geht los:

1. Perfektion ist unmenschlich

Den perfekten Körper übers Training anzustreben ist mentales Gift. Warum? Ganz einfach: Der Mensch ist ein imperfektes Wesen. Ansonsten wäre er eine Maschine. Nur Leute, die wir nicht kennen oder digital retuschiert wurden, scheinen perfekt zu sein. Aber sie sind es nicht.

Ob für den eigenen Fitnesslevel oder für die eigene Beziehung – fragen Sie sich nicht, ob diese perfekt sind. Sie werden es nie sein. Klüger ist es sich zu fragen: Sind sie gut genug?

Gut genug – damit ist bei der eigenen Fitness, wie auch in der Beziehung bereits viel gewonnen. Fürs Training bedeutet es, dass man auch beim Essen schlemmen darf, nicht ständig Rekorde brechen muss und dass die Qualität der Bewegung wichtiger wird als das auferlegte Gewicht.

Für die Beziehung bedeutet es, dass man wissen muss, dass kein Mensch auf die Welt gekommen ist, um meine – vielleicht hochfliegenden – Ansprüche zu erfüllen. Das wäre keine Beziehung auf Augenhöhe, sondern pure Ausbeutung. Wichtig zu wissen: Auch wir werden nie die ultimative Geschenks-Kombination für unseren Partner sein. Der perfekte Partner, er oder sie, ist ein Fabelwesen. Je schneller man sich davon verabschiedet, desto besser. Es gibt zu viele Menschen, die unter der hohen Last der Ansprüche – den eigenen oder den fremden  – zusammenbrechen. Warum ist das so? Weil Anspruch immer auch Ablehnung ist. Je höher die Ansprüche sind, desto mehr lehne ich ab oder werde ich abgelehnt. Sich gut fühlen geht anders.

Fragen Sie sich: Was ist für mich wichtig in der Beziehung?  Was ist verhandelbar und was nicht? Das muss ich zuerst – meist mühsam – für mich selber herausfinden und dann ins Gespräch einbringen. Das ist BeziehungsARBEIT. Die erfolgreichen Romane von Rosamunde Pilcher mögen ein Golfstrom für gefrorene Romantiker-Seelen sein. Als Liebeskonzept taugen Sie nicht. Eine gute Fitness oder eine gute Partnerschaft sind keine Magie, sondern das Resultat harter Arbeit. Ihre Beziehung wie auch Ihr Fitnesstraining sind eine persönliche Reise und Turbulenzen gehören dazu. Eine Beziehung ist ein mentales Trainingslager, denn hier fallen die Masken, hinter denen wir uns im Geschäftsleben noch verbergen können. Dieses Fallenlassen der Masken ist nicht immer lustig, doch genau dann können wir wachsen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Unser Wesen formt sich nur bedingt, wenn wir alleine sind. Es nimmt erst dann richtig Gestalt an, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind. Der Partner ist somit ein Spiegel, der uns gnadenlos reflektiert. Es lohnt sich, die vier Sätze, die sie gerade gelesen haben, nochmals zu lesen.

2. Zeit

Jedes Fitnesstraining braucht Zeit. Besser wird man hier nur übers Tun und nicht mittels Lesen oder dem  Sinnieren darüber. Bei einer Grossbank in der Schweiz frage ich die Manager jeweils: Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?  Erstellen Sie eine «Top 5»-Liste: Meist ist die Familie, bzw. sind die Kinder oder ist der Partner an der ersten Stelle. Dann frage ich, womit die Manager am meisten ihre Zeit verbringen und hier stellen viele eine grosse Diskrepanz fest. Für das scheinbar Wichtigste im Leben nimmt man sich kaum Zeit. Welche Liste ist nun aber die echte? Ich wage zu behaupten: Es ist die Zeitliste. Wer sich Zeit nimmt, der schenkt das Wertvollste, was er hat. Wir Menschen sind ja nicht zeitlos, denn jeder Tag mehr ist immer auch einen Tag weniger, den wir noch zur Verfügung haben. Achten Sie auf Ihre Zeit. Sie kommt nie wieder. Viele sagen –  meist in der Opferrolle –  sie haben leider zu wenig Zeit für die Familie oder den Partner.

Keine Zeit? Gegenfrage: Wo haben Sie Ihre Zeit gehortet? In der Brieftasche? Zuhause? Im Safe auf der Bank? Ich sage es deutlich: Sie haben immer Zeit. Hier und Jetzt. Keine Zeit bedeutet im Klartext: Anderes ist mir wichtiger. Das ist weder gut noch schlecht. Aber es hat Konsequenzen. Zeit haben ist immer eine Frage der Priorität. Punkt. Ausrufezeichen!

Beachten Sie: Damit eine Beziehung entsteht, braucht es zwei Menschen. Damit sie endet, braucht es nur eine Person. Allein dieser Gedanke reicht schon, um zu verstehen, dass eine Beziehung ein fragiles Gebilde ist. Viele aber denken: Einmal-in-Liebe heisst immer-in-Liebe. Das ist schockierend naiv.

Sich also Zeit nehmen, ist eines der grössten Geschenke, die Sie Ihren Mitmenschen und somit Ihrer Partnerin oder ihrem Partner machen können. Noch einmal, weil es so wichtig ist: Eine tolle Fitness als auch eine tolle Beziehung zu führen, heisst, daran unermüdlich zu arbeiten. Und ohne richtig viel Zeit geht das nicht. Liebe, Zeit und Musse – die muss man sich nehmen. Wer das nicht macht, der wird medial oversexed und real underfucked sein. Aber das ist heikel. Das Fremd-Gehen passiert ja oft deswegen, weil man sich fremd geworden ist. Aber dieses Sich-Fremd-Werden geschieht ja nicht über Nacht. Das Fremd-Gehen dann oft schon.

3. Loslassen

Im Fitnesscenter war ich immer wieder erstaunt, wie die Mitglieder oft jahrelang am selben Programm festhielten, obwohl die erhofften Resultate ausblieben. Aber immer dasselbe tun und dann andere Resultate zu erhoffen, ist eine Art  Wahnsinn, die bereits Einstein beschrieben hat. Wenn Sie also andere Fitnessresultate erzielen wollen, dann müssen Sie das Trainingsprogramm umstellen und somit das alte loslassen. Aber der Mensch lässt nicht gerne los. Andreas Bredenkamp hat die Situation beschrieben, in welchen sich die klassischen Fitnessstudios befinden. Er fordert das Einschmelzen von alten Geleisen und das Loslassen von lieb gewordenen Routinen. Aber das schmerzt und viele hoffen, dass es irgendwie doch noch im gleichen Takt weiter geht. Doch dieses Hoffen ist hoffnungslos. Keine Frage: Der Mensch mag Stabilität meist mehr als Veränderung. Und ich weiss aus persönlicher Erfahrung:  Loslassen ist eine der schwierigsten Leistungen im Leben. Wenn man merkt, dass sich die eigenen Fitnessrekorde nicht mehr brechen lassen oder gewisse Übungen einfach nicht mehr gehen, dann ist das ein Loslassen, das oft wehtut. In der Liebe ist das umso heftiger. Nicht selten reisst es den Boden unter den Füssen weg. Trotz des empfunden Schmerzes darf man aber nie vergessen: Das Leben ist IMMER Veränderung. Veränderung ist ein Prinzip des Lebens. Gäbe es in der Natur keine Veränderungen, wäre das Leben, so wie wir es kennen, nicht entstanden. Wer also keine Veränderung zulässt, der tötet das pulsierende Leben. Gleichzeitig tötet jede Veränderung auch etwas Bestehendes. Das ist meist nicht lustig und es macht oft Angst. Sei es existenziell, sei es finanziell. Meist gar beides. Ich bin überzeugt: Wer die Kunst des Abschieds beherrscht, der kann alles.

Was ist der Mensch? Es ist ein Wesen, das sich immer wieder neu entscheidet. Entscheiden heisst immer auch verzichten. Für jede Entscheidung, die Sie treffen, ist ein Preis fällig. Wer raus aus der Beziehung will, den wird ein Tsunami von ambivalenten Gefühlen fluten. Und wer mit der Routine, Geborgenheit und Sicherheit bricht, der braucht viel Mut. Vielen fehlt der Mut zur Änderung und sie bleiben lieber in der Komfortzone. Würde es wirklich besser werden? Die SehnSUCHT nach Sicherheit hat viel Selbstzerstörerisches. Wer spürt, dass die Beziehung nicht gut genug ist, der sollte handeln. Viele machen das nicht und sie führen dann ein Leben in stiller Verzweiflung. Tun Sie sich das nicht an! Das ist nicht Leben, das ist AB-Leben. Sollte es im Leben nicht primär um Lebendigkeit statt um Bequemlichkeit gehen? Lebendig sein heisst, gewisse Risiken auf sich zu nehmen. Nur Salonhelden leben ihre Träume und Wünsche auf Netflix aus. Und das ganz bequem auf dem kuscheligen Sofa. Gehören Sie nicht dazu!

Meine Beobachtung ist: Ob Fussballer, Fitnessler, Hausfrau usw.; der Mensch kann viel mehr, als er denkt. Und oft sind es die Ruinen der Gegenwart, die den Blick für den Himmel bzw. für einen neuen Horizont in der Zukunft freimachen. Nochmals, weil es so wichtig ist: Der Muskel wächst am Widerstand – der Mensch jedoch auch. Der Mensch kann oft äussere Tragödien in innere Triumphe umwandeln. So geht echtes Leben. Das Leben ist kein Ponyhof. Es ist also wichtig, dass man sich von den Illusionen verabschiedet, dass man ohne Anstrengung Fitness trainieren und mühelos durchs Liebesleben gleiten kann.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch