Bewegung? Jetzt erst recht! BranchenTag 2021: Freitag, 3. September in Bern
6. August 2021
Neuer Geschäftsführer bei Johnson Health Tech. Schweiz (Matrix)
6. August 2021

Was Corona mit den Unternehmen macht

Wir können es schon fast nicht mehr hören, dieses Wort mit dem C vorneweg. Es hat uns seit Beginn des Jahres 2020 begleitet und wird es noch weiter tun. Ob uns das passt oder nicht. IHS – ist halt so. Einige Unternehmen sind, leider, verschwunden. Andere folgen möglicherweise noch. Erster Fokus der Unternehmer war das Sicherstellen des Fortbestandes des eigenen Unternehmens. Weshalb viel Zeit in administrative Dinge investiert wurde. Vielerorts fehlte die Zeit für die grundlegenden Fragen in dieser (einer) Krisensituation.

Krisen sind immer Chancen

Viele werden jetzt sagen, diese Theoretiker haben gut Schreiben. Ich kann ihnen versichern – auf meinen beiden beruflichen Standbeinen haben wir uns dieselben Fragen stellen müssen und sind noch immer daran, die Zukunft neu aufzustellen. Kein einfacher Prozess; die richtigen Fragen zu stellen kann Schmerzen verursachen. Welches sind die richtigen Fragen? Aufgrund der letzten 18 Monate stellen sich für ein Fitnesscenter unter anderem folgende Fragen:

  • Wann kommen die digitalen Plattformen wie Urban Sports Club im grossen Stil in die Schweiz?
  • Ist klein aber fein der neue Benchmark?
  • Ist die Konzentration auf die Kernkompetenz «Krafttraining» aus Kostengründen der neue sinnvolle Weg?
  • Welche neuen Abo-Strukturen sind zu erwarten?
  • Was bedeuten die vermehrten Outdoor-Aktivitäten der Bevölkerung für die klassischen Fitnesscenter?
  • Sind Video-on-Demand-Angebote die Zukunft? Von Personaltraining bis Group-Fitness?

Nachfolgend einige Bemerkungen und Inputs zu den obigen Fragen. Wann dann, wenn nicht jetzt, muss ich als Unternehmer die richtigen Weichen stellen? Die Zeit nach Corona wird nicht mehr dieselbe sein.

Digitale Plattformen krempeln ganze Branchen um

Das grösste Hotel der Welt besitzt kein einziges Hotelbett. Das grösste Taxiunternehmen der Welt besitzt kein einziges Taxi. Der grösste Buchhändler der Welt hat keinen einzigen Laden. Wie das funktioniert? Booking, Uber und Amazon lassen grüssen. Airbnb ist ein weiterer Vertreter einer solchen digitalen Plattform, die ganze Branchen umpflügen. Die Frage ist also nicht, ob in der Fitnessbranche solche Plattformen vermehrt auftauchen, sondern wann und mit welcher Wucht sie diese umpflügen werden.

Es ist zu erwarten, dass in wenigen Jahren das grösste Fitnesscenter der Welt kein einziges Gerät besitzen wird. Plattformen wie «Urban Sports Club» sind wohl nur Vorboten dessen, was die Branche zu erwarten hat. Das einzelne Studio wird demzufolge keine eigenen Mitglieder mehr haben. Die Mitglieder der Plattformen trainieren lediglich im Partnerstudio, welches pro Training einen fixen Betrag erhält. Dieses Geschäftsmodell ist für die digitalen Plattformen interessant und lukrativ. Für das Partnerstudio wird es allerdings eher schwierig. Wie damit umgehen? In welche Richtung sollen wir uns als Fitnesscenter transformieren? Diese Frage gilt es zu klären – je schneller, desto besser.

Klein aber fein mit perfekter Betreuung

Jeder Quadratmeter Fläche zu viel kostet mich monatlich Geld. Es gilt zu prüfen, worauf verzichtet werden kann. Jeder Quadratmeter, der nicht wirklich benötigt wird, soll auf den nächstmöglichen Termin hin reduziert werden.

Alles was für den Kunden zwar «Nice to have» ist, für uns aber grosse Kosten verursacht, ist zu prüfen. Wollen wir in Zukunft noch einen Wellnessbereich, nur damit wir damit Werbung machen können oder machen das andere besser als wir? Die Wellness-Landschaft kostet enorm viel im Unterhalt. Brauchen wir alle möglichen und unmöglichen Saunaformen im Angebot oder reicht eine Option? Oder wollen wir gar radikal darauf verzichten? Dafür eine Kooperation mit einem entsprechenden Anbieter eingehen für unsere Mitglieder?

Das radikale Verkleinern ist eine Option für die Zukunft, um als eigenständiges Unternehmen weiter auf dem Markt überlebensfähig zu sein. Unter einer Bedingung: Die perfekte Betreuung. Eine hohe Qualität der Betreuung wird geschätzt und vom Kunden auch honoriert – sprich bezahlt. Sich auf das Wesentliche konzentrieren, mit perfekter Betreuung und einer optimierten Infrastruktur ist wohl das Credo der Zeit.

Konzentration auf die Kernkompetenz

Ausdauertraining machen die meisten Kunden derzeit Outdoor. Und viele bleiben möglicherweise dort. Krafttraining lässt sich in den eigenen vier Wänden oder im Freien nur bedingt ausführen. In der Regel fehlt es an genügend hohem Widerstand. Diesen können nur Geräte oder freie Gewichte liefern.

Die Konzentration auf das Wesentliche, also Krafttraining im Sinne von lebenslanger Medizin für eine hohe Lebensqualität und Mobilität, ist eine Positionierung, die erfolgversprechend ist. Damit lässt sich gutes Geld verdienen, weil auf alles Unnötige letztlich verzichtet wird und so die Kosten sehr tief sind im Vergleich zur «eierlegenden Wollmilchsau» – was viele Fitnesscenter derzeit sind. Also die ganze Bandbreite an Angeboten, von Kraft über Ausdauer, Group-Fitness und Wellness, Shop für Ernährung und Bekleidung und wenn möglich auch noch Kiosk. Ob dieses Geschäftsmodell in Zukunft noch überlebensfähig ist, wird sich zeigen. Die Kosten sind enorm hoch und gleichzeitig steigt der Druck auf die Abopreise. Ein Einzelstudio ist gut beraten, sich darüber Gedanken zu machen und das Geschäftsmodell detailliert zu prüfen.

Kreative Kooperationen lassen sich in der Fitnessbranche gut denken. Teilen Sie das Fitnesscenter mit anderen Anbietern, welche sich bei ihnen einmieten. Gesucht sind Kooperationen mit Partnern, welche die Gleiche oder sehr ähnliche Zielgruppen bedienen. Mögliche Partner sind weiter vorne im Text aufgeführt und im Abschnitt zum Outdoortraining kommen noch welche dazu. Seien Sie kreativ und mutig!

Neue Abos braucht die Welt

Während der Coronazeit waren die Fitnesscenter einmal mehr in den medialen Schlagzeilen von Radio und Zeitungen/Zeitschriften. Ja, es war schwierig für alle Beteiligten und ist es womöglich noch immer. Es kann aber nicht sein, dass Unternehmen den Kunden weder Zeitgutschriften geben noch Rückzahlungen tätigen, wenn die verkaufte Leistung nicht erbracht werden konnte. Den Vogel abgeschossen hat jenes Unternehmen, welches nur dann eine Zeitgutschrift machen wollte, wenn das Abo zuerst erneuert wird. Das wäre juristisch gesehen vermutlich Nötigung.

Was lernen wir? Der Kunde der Zukunft ist möglicherweise nicht mehr bereit, sich langfristig zu binden. Er wünscht eine einfache Abo-Struktur in Form von monatlich zu kaufenden «Monatstickets» wie beim öffentlichen Verkehr. Wenn ich weiter trainieren will, löse ich das nächste «Monatsticket» oder lasse es bleiben, aus welchen Gründen auch immer. So bleibt die Kundschaft flexibel und verliert in der nächsten Schliessungsphase quasi nur einen Monat, wenn er oder sie Pech hat. In den AGB wäre dies genau so geregelt. Dafür keine automatischen Verlängerungen mehr und ähnlich schwierige Bedingungen, welche heute einfach nicht mehr kundenfreundlich sind – oder es gar nie waren.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Finanzen und Preismodelle neu gedacht werden müssen. Es ist an der Zeit, dies zu tun. Der Finanzfluss muss vom «Denken in Jahresabos» wegkommen auf neue, flexible Modelle mit den nötigen Anpassungen bei internen Prozessen und Finanzplänen.

Outdoor als neues Geschäftsfeld

Ausdauertraining machen die meisten Kunden derzeit Outdoor. Diesen Satz haben sie heute im Artikel schon gelesen. Warum nehmen die Fitness-center diesen Trend nicht auf und bieten massgeschneiderte Angebote an? Geführte Biketouren inklusive Techniktraining, geführtes Lauftraining inklusive Lauftechnik oder Langlauf im Winter inklusive Technik? Wandern ist die Sportart Nr. 1 in der Schweiz. Warum also nicht regelmäs-sige geführte Wanderungen anbieten? Selbstverständlich sind alle diese Angebote ein Teil des Geschäftsmodells und bringen entsprechend Einnahmen.

Es gilt, wer sich in diesem Bereich positionieren will, das entsprechende Personal zu rekrutieren. In diesem Bereich sind für die meisten Fitness-center gute Kooperationen wohl der sinnvolle Weg. Wir haben das perfekte Angebot ohne grosse Kosten. Das Fitnesscenter erhält eine Rückvergütung für jedes Mitglied, welches ein Out-door-Angebot nutzt. Ohne dass wir die Planung und Organisation im eigenen Haus haben.

Netflix heisst das neue Zauberwort

Wir kennen sie alle, die Streaming-Plattform Netflix. Was schätzen wir daran? Wir wählen aus und können wo und wann wir wollen das Angebot ansehen. «Video-on-Demand» Angebote sind das Gegenstück dazu für das Fitnesscenter. Das Mitglied kann die Videos auf Anfrage und gegen Bezahlung herunterladen oder per Streaming direkt ansehen. Wo und wann er dies wünscht. In der Coronazeit haben das viele mit Tools wie «Zoom» gemacht. Das ging als Notlösung gut und funktionierte fast immer. Wer diesen Trend aufnehmen und in ein Geschäftsmodell integrieren will, muss dafür jetzt in die Technik investieren. Wirklich gut gemachte Videos mit entsprechender Ausleuchtung und sehr guter Tonqualität sind via «Zoom» nicht möglich. Da muss investiert werden. Wenn dies richtig gut gemacht wird, wäre das eine gute Ergänzung zum Angebot vor Ort. Der von der Automobilindustrie bekannte Begriff «Hybrid» passt da punktgenau. Auf dem Markt finden sich in diesem Bereich schon einige hervorragende Angebote, welche als Benchmark dienen können. Lassen Sie sich inspirieren!

Die Post-Coronazeit fordert die Unternehmen noch einmal. Stellen Sie die richtigen Fragen und haben Sie den Mut, sich von liebgewonnenem zu trennen und neues zu entdecken. Nur so ist das Überleben als Unternehmen in der Zukunft gesichert. Es ist noch nicht zu spät. Ich wünsche dabei viel Mut und ebenso viel Erfolg.

Peter Regli 

Peter Regli ist Buchautor, Dozent und Referent. Er doziert an diversen Ausbildungsinstitutionen und bietet Workshops im Bereich Strategieent­wicklung für kleinere Unternehmen an. Individuelle Themen bietet er als Inhouse-Schulungen oder als Online-Coaching für Menschen und Unternehmen an. Sie erreichen ihn per Mail mit pr@peter-regli.ch oder auf seine Website www.peter-regli.ch