Gesund durch Fitnesstraining Ausdauertraining – das Workout für die Gesundheit
1. April 2021
KRAFT trifft KUNST 2
1. April 2021

Wandel als Chance begreifen Reinventing Organizations

Durch die Corona-Krise befindet sich die Fitness- und Gesundheitsbranche mitten in einem Wandel. Denn seit jeher werden vor allem in Krisenzeiten Weltsichten und Denkweisen weiterentwickelt. Wie Unternehmen dies als Chance sehen können, um ihre Unternehmensführung neu zu denken und welche Rolle der Reinventing-Organizations-Ansatz von Management-Vordenker Frédéric Laloux spielt, erfahren Sie in diesem Artikel.

Ich habe in den letzten Wochen viele persönliche Gespräche mit Betreibern aus dem Fitness- und Gesundheitsbereich geführt. Dabei wurde deutlich, welche Auswirkungen die Corona-Krise bereits auf unsere Branche hatte bzw. voraussichtlich haben wird. Eine zentrale Frage dabei war, ob die coronabedingten Veränderungen zu einem dauerhaften Bestandteil unseres Geschäftsmodells werden.

Perspektive wechseln – Prozesse hinterfragen

Die Krise ist für einige Betreiber die Chance, das eigene Unternehmen weiterzuentwickeln. Nach dem ersten Lockdown wurde vieles auf den Prüfstand gestellt und teilweise neu «gedacht». Auf einmal bot sich uns ein strategisches Fenster, um von unseren Mitgliedern eine verbindliche Online-Kurs- oder Trainingsanmeldung einzufordern. Die behördlich vorgegebenen maximalen Flächenauslastungszahlen und das damit verbundene geringere Infektionsrisiko für unsere Mitglieder konnten durch ein solches Online-Anmeldeverhalten effektiv organisiert werden – der zweite Lockdown war dennoch nicht zu verhindern. Die Digitalisierung der Trainingsbetreuung bietet Betreibern während und auch nach der Krise viele Vorteile, u. a. Peak-Zeiten-Steuerung, Trainereinsatzplanung, Kursauslastungskon-trolle.

In Zeiten, in denen z. B. reservierte Timeslots und Online-Buchungen von Terminen branchenübergreifend bereits zum «New Normal» gehören, muss man sich selbst organisieren und kann eben nicht mehr spontan jede Einrichtung besuchen. Betreiber berichten, dass sich ältere Menschen nach der ersten Wiedereröffnung der Center extra ein Smartphone zugelegt haben, um die Center-App zur Buchung ihres Trainings nutzen zu können. Wenn wir die Perspektive wechseln, ergeben sich daraus neue Chancen für jedes Unternehmen und für die gesamte Branche.

VUKA – die neue (Arbeits-)Welt

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass ein «kleines» Virus einen grossen Einfluss auf alle Lebensbereiche haben kann. VUKA (engl.: VUCA) beschreibt eine solche Welt, wie wir sie gerade erleben – es gilt, zu akzeptieren, dass es Umstände gibt, die nicht vorhersehbar bzw. veränderbar sind und die vom einen auf den anderen Tag zu grossen Veränderungen gerade auch im Geschäftsleben führen können. Die VUKA-(Arbeits-)Welt wird wie folgt definiert:

V = Volatilität

Stellen Sie sich vor: Im Januar 2020 hätte jemand zu Ihnen gesagt, dass zwei Monate später alle Geschäfte, Restaurants und v. a. alle Fitness- und Gesundheitseinrichtungen für einige Zeit behördlich verordnet schliessen müssen. Und wir ungefähr acht Monate später erneut vor einer ähnlichen Situation stehen – hätten Sie das geglaubt? Das hört sich doch mehr nach einem Blockbuster von Steven Spielberg an als nach der Realität, die wir bisher kannten. Volatilität beschreibt die schnelle Veränderungsrate der Welt, in der wir leben – die Welt dreht sich redensartlich immer schneller und der Wandel wird immer dynamischer. Der nächste Trend, der unseren Markt verändern kann, «sitzt» bestimmt schon irgendwo in den Startlöchern.

U = Unsicherheit

In den letzten Monaten haben wir häufig von angeblich streng geheimen, aber natürlich «sehr verlässlichen» Informationen von höchster politischer Ebene bzgl. des weiteren politischen Vorgehens (z. B. Zeitpunkt der Centereröffnungen) gehört? Die virale Verbreitung von (Fake-)Informationen befeuert unsere Sehnsucht nach mehr Sicherheit und Vorhersehbarkeit. Vielleicht entwickeln zwei Abiturienten gerade in Köln-Nippes in der Garage des Vaters eine Schlankheitspille, die dazu führt, dass Menschen zukünftig nicht mehr zum Training ins Center kommen müssen, um abzunehmen – wir wissen es nicht.

K = Komplexität

Im Vietnamkrieg waren die USA zwar militärisch überlegen, was sich aber nicht in den Kampfhandlungen widerspiegelte: Vor allem eine multidimensionale Umgebung kann demnach eine chaotische Situation verursachen. Laut Pfläging (2015) ist Komplexität als Mass für die Menge an Überraschungen zu verstehen. Bei umfassenden Vorgängen wie z. B. der Kommunikation mit einem Mitglied (Überraschungen können jederzeit auftreten) helfen uns Standards, Prozesse und Vorgaben (mit dem Ziel der Kontrolle der Komplexität) häufig nicht wirklich weiter – wir kommen mit unseren aktuellen Managementsystemen zunehmend an unsere Grenzen.

A = Ambiguität

Stimmt es, dass die Krise nur negative Auswirkungen auf uns und unser Leben hat, oder können sich Dinge auch verbessern? Glasklares Wasser auf der einen Seite und eine wirtschaftliche Krise auf der anderen Seite zeigen am Beispiel der Lagunenstadt Venedig deutlich die Ambiguität, d. h. die Mehr- oder Doppeldeutigkeit in der Welt. Führt die Pandemie dazu, dass weniger Menschen zum Training kommen oder sprechen wir über das «neue» Gesundheitsbewusstsein auch neue Zielgruppen an? Hier zeigt sich die Doppeldeutigkeit.

Fortschritt durch Umdenkprozesse und Veränderungen

Können wir für uns persönlich und für unser Geschäft Erkenntnisse aus der VUKA-Welt ziehen? Schon Heraklit von Ephesos sagte: «Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung» – ohne eine hohe Anpassungsfähigkeit und v. a. eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit (Survival of the fittest), ohne eine ständige Veränderungsbereitschaft und ohne unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit wird es schwierig, dauerhaft erfolgreich zu sein.

Es ist möglich, die Pandemie als «Trainingsreiz» zu verstehen – dieser Impuls kann uns zu einem persönlichen und unternehmerischen Wachstum und zu einer Potenzialentfaltung verhelfen. Gerade in Zeiten von Krisen haben sich häufig neue Weltsichten entwickelt. Jede Veränderung bietet die Chance für einen Entwicklungssprung. Wir können diese Phase nutzen, um neue Fähigkeiten zur Zusammenarbeit zu entwickeln. Unsere Unternehmen als Orte der Kooperation können wir jetzt neu formieren und damit anpassungsfähiger machen. Wie könnte ein Unternehmen aussehen, das neu «gedacht» wird?

Reinventing Organizations – «Denken» Sie Ihr Unternehmen neu

Frédéric Laloux, ehemaliger Partner bei McKinsey & Company, hat eine Antwort auf die Frage nach zukunftsfähigen Unternehmensformen. In seinem Buch «Reinventing Organizations» beschreibt er an konkreten Beispielen von gewinnorientierten, erfolgreichen Unternehmen, wie integral-evolutionäre Organisationen aussehen und durch was sie sich hervortun. Seiner Meinung nach sind evolutionäre Organisationen (lebendige Systeme) durch folgende drei «Durchbrüche», d. h. Veränderungen im Management, gekennzeichnet (Laloux, 2017):

Selbstführung

Den Herausforderungen der heutigen Unternehmenswelt kann nur durch eine Entwicklung weg von hierarchischen Strukturen, hin zu verteilter Autoritäts- und Teamverantwortung erfolgreich begegnet werden. Komplexität kann nur an der Peripherie des Unternehmens erfolgreich bewältigt werden (d. h. im Kontakt mit unseren Kunden). Konkret bedeutet das, dass die Trainer mehr Entscheidungsverantwortung bekommen und situativ im Sinne des Kunden flexibel reagieren können, z. B. bei Beschwerden.

Suche nach Ganzheit

Menschen wollen in ihrer Ganzheit als authentische Persönlichkeiten (ohne Berufsmaske) gesehen und wertgeschätzt werden. Die gedankliche Trennung zwischen Berufs- und Privatleben schwindet völlig. Integral-evolutionäre Unternehmen bieten die Sicherheit, sich als Mensch mit seinem ganzen Selbst zu zeigen. Das Zukunftsinstitut hat schon 2018 von dem «Siegeszug» der Emotionen als wichtigen Trend berichtet. Für «Ego-Spielchen» und Machtdemonstrationen gibt es keinen Platz in zukünftigen Unternehmen. Wer seinen Mitarbeitern kein Vertrauen entgegenbringt und diese nicht in ihrer ganzen Persönlichkeit ehrlich wertschätzt, kann nicht erwarten, dass Mitarbeiter hochmotiviert sind und sich trauen, sich selbst und ihre Ideen einzubringen. Emotionen sollen auch bei der Arbeit gelebt werden.

Evolutionärer Sinn

Menschen sind sinnorientiert – mit einem wirklichen, übergeordneten Unternehmenssinn gibt es keine direkte Konkurrenz zwischen den einzelnen Akteuren mehr, da jedes Unternehmen sein ganz eigenes individuelles Sinn-Ziel verfolgt. Planung und Kontrolle treten mehr und mehr in den Hintergrund – in der VUKA-Welt funktionieren diese aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit nicht mehr gut. In integral-evolutionären Unternehmen geht es viel um Wahrnehmung und flexibles Reagieren – eine Organisation als lebendiges System hat die «… Freiheit, auf das zu reagieren, was ihrer Meinung nach gebraucht wird; sie werden nicht durch statische Stellenbeschreibungen, Reportingrichtlinien und funktionale Einheiten eingeengt» (Laloux, 2017, S. 128). Langfristige strategische Planungen werden durch kürzere «Strategiesprints» ersetzt, Menschen wollen den Sinn in ihrer Arbeit erkennen – Gewinne sind die Basis eines Unternehmens, aber sie können nicht der Sinn der Arbeit sein.

Fazit

Komplexe Change-Prozesse sind allgegenwärtig. Sobald wir unser grundlegendes Denken über Veränderungen anpassen, beginnen wir, Unternehmen neu zu «denken». Eine geführte Selbstreflexion des eigenen Unternehmens (Blick von aussen) hilft, besonders in Krisen zu erkennen, ob dieses zukunftsorientiert und flexibel aufgestellt ist. Gerade jetzt bietet sich eine gute Möglichkeit, Ihr Unternehmen auf die Zukunft, in der viele neue Herausforderungen auf uns warten, einzustellen. Also entwickeln Sie es gezielt weiter und profitieren Sie von diesen innovativen Denkanstössen.

Literaturliste

  • Laloux, F. (2017). Reinventing Organizations visuell. München: Verlag Franz Vahlen GmbH.
  • Pfläging, N.& Hermann, S. (2015). Komplexithoden – Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. München: Redline Verlag.
  • Unkrig, E. R. (2020). Mandate der Führung 4.0. Wiesbaden: Springer Gabler.

Nicolai Rolli

Nicolai Rolli, Diplom-Sportwissenschaftler, ist u. a. Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie an der BSA-Akademie. Nach seinem Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln, seiner Ausbildung zum Heilpraktiker und seinem betriebswirtschaftlichen Fernstudium arbeitete er jahrelang in personalverantwortlichen Positionen und als Geschäftsführer.

www.dhfpg-bsa.de