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11. August 2019
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Steigende Mitgliederzahlen bringen neue Herausforderungen

Paul Eigenmann / QualiCert AG

Reaktionsquote und Überkapazität des Marktangebotes

Angesichts der aktuellen Überkapazität des Fitnessangebotes im Markt wünscht sich natürlich jedes Fitness-center mehr Mitglieder. Dazu müsste die sogenannte Reaktionsquote, d. h. der prozentuale Anteil der Bevölkerung mit einem Fitness-Abo steigen, sonst kommt es angesichts der Expansion der Ketten zu einem noch stärkeren Preis- und Verdrängungskampf als er jetzt schon beobachtet werden kann. Und darunter werden alle leiden – auch die Ketten.

Es gibt aber gute Gründe anzunehmen, dass die Reaktionsquote und damit die Gesamtzahl der Fitnesscentermitglieder weiter ansteigen wird. Gesellschaftlich ist Fitnesstraining heute anerkannt und etabliert – auch in der Schweiz und zwar nicht zuletzt auch wegen der Angebote der Migros (und neu COOP). Sieht man sich die Reaktionsquoten  in den verschiedenen Ländern an, so fallen einerseits die immer noch grossen Unterschiede, andererseits aber auch das Nord-Süd-Gefälle auf. Letzteres liegt wohl darin begründet, dass «Indoor-Aktivitäten» in Ländern, in welchen es im Winterhalbjahr sehr lange Nächte und wenig Tageslicht ausserhalb der normalen Arbeitszeiten gibt, beliebter und verbreiteter sind als andernorts. Dass aber beispielsweise Holland gemessen an der Bevölkerungszahl rund 25% mehr Mitglieder hat, kann nicht mit der Tages- und Nachtlänge begründet werden, aber auch nicht mit anderen Faktoren wie etwa dem Fehlen einer (Sport)Vereinskultur. In diesem Zusammenhang ist die Urbanisierung ein häufig genannter Grund. Die Niederlande weisen pro Quadratkilometer 390 Einwohner auf, die Schweiz nur 174. Diese Zahlen relativieren sich aber; denn legt man den Berechnungen für die Niederlande und die Schweiz die tatsächlich besiedelbare Fläche zu Grunde, sind die beiden Länder in Sachen Bevölkerungsdichte sehr vergleichbar: Niederlande 487 Personen pro Quadratkilometer, Schweiz 426 Personen pro Quadratkilometer.

Es gibt keine augenscheinlichen Begründungen, warum nicht auch in der Schweiz die Reaktionsquote bezüglich der Mitglieder in Fitness-centern so hoch sein könnte wie in den Niederlanden. Das wären dann 250’000 bis 300’000 zusätzliche Fitnesscentermitglieder. An diese Rekrutierungsreserven denken offensichtlich auch die Investoren, die gegenwärtig die Expansion der Ketten in der Schweiz befeuern; denn Investoren sind keine karitativen Organisationen.

Höhere Reaktionsquote – Problem Überkapazität gelöst?

Vielleicht nicht gelöst, aber sicher gemildert, so könnte man mutmassen. Aber so einfach ist es wohl nicht. Und der Grund dafür ist die Tatsache, dass mit einer höheren Reaktionsquote das Mitgliedergut als Ganzes bezüglich seiner Kundenbedürfnisse und Kunden-erwartungen viel heterogener wird und als Folge davon auch die Dienstleistung «Fitnesstraining» vielfältiger angeboten werden muss. Und das ist definitiv eine grosse Herausforderung; denn Fitnesstraining ist – insbesondere was den USP Krafttraining betrifft – aus der Natur der Sache heraus alles andere als vielfältig:

  • Alle Menschen haben die gleiche Anatomie und Physiologie.
  • Die Trainingsübungen sind durch die funktionelle Anatomie vorgegeben.
  • Die Trainingsbelastungen durch Physiologie vorgegeben.
  • Als Folge davon gleichen sich die Gerätschaften in den Fitnesscentern trotz (nur mehr) etwa 7-10 Hersteller weltweit wie ein Haar dem andern.
  • Als weitere Folge davon gleicht sich auch die Erbringung der «Dienstleistung Fitnesstraining» weltweit sehr:
    • (1) Übungen, Belastungen und Geräte erklären und instruieren – (2) nachher beaufsichtigen bzw. zuschauen.
    • Sowohl (1), als auch (2) kann für gewisse Kundensegmente bedenkenlos weggelassen werden und die Dienstleistung mutiert zur Vermietung von Trainingsinfrastrukturen – mit der Möglichkeit Personaltrainings zu buchen wie in den USA schon seit Jahrzehnten die Regel.

Genau in dieser Einheitlichkeit liegt auch die Problematik, sich als Fitnesscenter mit qualifizierter Betreuung gegenüber den sogenannten Discountern für die Kunden sicht- und spürbar unterscheidbar zu positionieren.

In dieser Einheitlichkeit liegt aber auch eine Herausforderung für die expandierenden Ketten; denn erstens muss eine Kette in sich gleichartig sein, sonst gibt es keine ökonomischen Vorteile durch eine Effizienz- und Produktivitätssteigerung. Zweitens aber – und da unterscheiden sich Ketten nicht von den Einzelcentern – bieten auch Ketten mit Ausnahme von Unterschieden bezüglich erwähnter, aber verzicht- und weglassbarer Punkte ϕ und κ alle die gleiche Dienstleistung an. Betrachtet man eine Branche, in welcher die Vielfalt der Geschmäcker (= Kundenbedürfnisse und Kundenerwartungen) geradezu legendär ist, nämlich die Restauration, so stellt man fest: Auch im Restaurantgeschäft gibt es Ketten. Und auch im Restaurantgeschäft sind die Ketten in sich gleichartig. Aber die Unterschiede der Ketten beschränken sich nicht nur auf Full- oder Self-Service. Die verschiedenen Ketten bieten für den gleichen Zweck, nämlich Essen und Hunger stillen, unterschiedliche Essensrichtungen an.

Bibliografie:

1IHRSA: The IHRSA Global Report: The State of The Health Club Industry, Boston 2019.

2United Nations: UN World Population Prospects, New York 2002/2019.

3D. Müller-Jentsch: Wie dicht ist die Schweiz besiedelt? Avenir Suisse, Zürich 2012.