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1. Dezember 2020

Reportage Zertifizierung Schweiz

Zertifizierungschaos in der Schweiz

Seit 1996 können sich in der Schweiz Fitnesscenter zertifizieren lassen. Die Schweiz war weltweit das erste Land, in dem dies überhaupt möglich war. Seither wird den meisten Trainierenden ein Teil ihres Mitgliedschaftspreises von der Krankenkasse zurückerstattet.

Ab dem 1. Januar 2021 gibt es in der Schweiz drei Zertifizierungsinstitutionen für Fitnesscenter: Die IG Fitness Schweiz (Label Qualitop) und QualiCert gehen zukünftig getrennte Wege. QualiCert hat bisher für die IG Fitness das Label Qualitop zertifiziert. Daneben gibt die fitness classification vom SFGV.

Die Geschichte von Qualitop und QualiCert ist eng verstrickt und nicht leicht zu entschlüsseln. Der Erfinder und Initiator von Qualitop ist Paul Eigenmann. Qualitop wurde im Mai 1996 durch die Krankenversicherer als Verein gegründet und war Normengeber und Zertifizierungsinstitution, obwohl die Normung durch eine Kommission stattfand, der auch Institutionen ausserhalb des Vereins Qualitop angehörten.

Qualitop, insbesondere Paul Eigenmann, war über viele Jahre hinweg mit dem Vorstand des SFGV (insbesondere Roland Steiner, damals noch SFCV) im Clinch. Vor allem, dass Qualitop Normengeber war und gleichzeitig die Zertifizierungen durchführte, störte den SFGV.

Im Jahre 2005 wurde ein erster Schritt zur Gewaltentrennung durchgeführt, in dem die Normungskommission aus dem Verein Qualitop herausgelöst wurde und als Interessengemeinschaft als Verein gemäss Art. 60 ff. ZGB gegründet.

Auf den 1. Januar 2008 wurde die vollständige Gewaltentrennung vollzogen. Der Verein Qualitop wurde zu einer GmbH und später AG gewandelt und in QualiCert umgetauft, der Verein Interessengemeinschaft für die Normung wurde in Qualitop umbenannt. Rechtsnachfolger des ursprünglichen Vereins Qualitop ist bis heute die QualiCert AG mit nach wie vor dem gleichen Geschäftsführer Paul Eigenmann.

Im Vorstand des SFGV entstand die Idee, Fitnesscenter wie in der Hotellerie über ein Sternesystem zu klassifizieren. Die ursprüngliche Idee sah vor, dass Qualitop als Grundlabel für alle Fitnesscenter gelten soll und wer wollte, konnte sich zusätzlich noch obendrauf mit den Sternen klassifizieren lassen. Leider konnten sich damals der SFGV und Paul Eigenmann nicht einigen und die Diskrepanzen der beiden Parteien wurden immer grösser.

Im Jahre 2013 wurde nach der Blockade durch den SFGV und den BGB die Liquidation des Vereins Qualitop eingeleitet und umgesetzt. Im Rahmen der Liquidation kamen die Aktivpositionen «Marke Qualitop» und «Normative Dokumente Qualitop» auf den Markt und wurden von einem Konsortium verschiedener Ketten ersteigert. Fast gleichzeitig trat der SFGV mit der Sterneklassifikation (fitness classification) in den Markt ein. Ab jetzt gab es zwei Möglichkeiten für eine Zertifizierung.

Das Konsortium wiederum wurde im Mai 2015 zu einem Verein zusammengeführt und nannte sich IG Fitness Schweiz. Die IG Fitness Schweiz besteht grösstenteils aus Fitnesscentern der grossen Ketten (Activ Fitness, Let’s Go Fitness, update Fitness, Kieser Training, ONE Training Center, basefit.ch und weitere).

Die QualiCert AG war und blieb aber während der ganzen Zeit die Zertifizierungsinstitution gemäss dem Normativen Dokument Qualitop. Es kam aber immer wieder zu Unstimmigkeiten zwischen QualiCert und der IG Fitness.

In der Folge kündigte QualiCert den Vertrag mit der IG Fitness per Ende 2018. Im Jahr 2018 wurde auch der Verein QTB gegründet, der die neu geschaffenen Normen und Label       Fit[Safe], EMS[Safe] und weitere besitzt und pflegt. QualiCert zertifiziert auch nach diesen Normen. Ein Interview mit dem Präsidenten von QTB in der FITNESS TRIBUNE hatte bei der IG Fitness für Aufregung gesorgt. QualiCert führte aber auch 2019 und 2020 die Zertifizierungen fürs das Label Qualitop durch.

Im Februar 2020 kam es zwischen der IG Fitness und QTB zu einer Einigung, der die Erkenntnis zu Grunde lag, dass eine Organisation geschaffen werden sollte, welche demokratisch legitimiert Normen verwaltet und pflegt. Für den neuen Verein mit paritätischen Vertretungen zwischen QTB und IG Fitness und anderen Marktvertretern bestanden auch bereits provisorisch akzeptierte Statuten. Doch dann kam Corona. Ende Juni 2020 wurde der Vertrag mit der IG Fitness, auf deren Wunsch, aber im gegenseitigen Einvernehmen per 31.12.2020 beendet.

Anmerkung von Roger Gestach:

Ein so kleines Land wie die Schweiz braucht definitiv nicht drei Möglichkeiten, sich als Fitnesscenter zertifizieren zu lassen. Diese Trennung von der IG Fitness und QualiCert birgt die grosse Gefahr, dass die Wertigkeit der Zertifizierung abgewertet wird. Die Krankenkassen könnten dann ihre Beiträge überall tätigen.

Aus meiner Sicht war es schon schade, dass der SFGV und Qualitop damals keine Lösung gefunden haben und es zwei Labels gab. Nun sind es drei – und dies ist definitiv nicht gut. Das einzig positive an der Sache ist, dass durch den neuen Konkurrenzkampf zukünftig die Zertifizierungen für die Center günstiger werden.

Hinweis zum Text der IG Fitness Schweiz und zum Interview mit Paul Eigenmann

Da die Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der IG Fitness Schweiz und QualiCert brandaktuell für unsere Branche ist und wir als neutrales Magazin die Sachverhalte verständlich darstellen wollen, war es uns ein Anliegen, beide Parteien zu Wort kommen zu lassen. Denn es gibt schliesslich nicht die eine Wahrheit. Wir wollten deshalb die verschiedenen Sichtweisen einander gegenüberstellen und haben daher beiden Parteien eine Interviewanfrage gestellt. Leider konnte die IG Fitness aus Termin- und Kapazitätsgründen unserer Einladung nicht nachkommen. Nichtsdestotrotz drucken wir das gesamte Interview mit Paul Eigenmann ab, da er die Geschichte der ganzen Zertifizierungslandschaft Schweiz sehr gut beschreibt. Die Antworten zu den letzten Fragen sind natürlich ganz klar die Sichtweise von Paul Eigenmann, die wir gerne zur Kenntnis nehmen aber nicht kommentieren. Wir werden in einer späteren Ausgabe der IG Fitness nochmals die Möglichkeit bieten, ihre Sichtweise darzustellen. Vorab drucken wir nachfolgend einen Auszug ab, den die IG Fitness an die Mitglieder im November 2020 verschickt hat.

IG Fitness Schweiz: Qualitop ab 2021 mit neuen Zertifizierern und modernem Verfahren auf dem Markt

Qualitop ist seit 1996 der Normengeber in der Gesundheitsbranche und gilt als anerkannte Qualitätsmarke. Qualitop hat sich entschieden, die Zusammenarbeit mit QualiCert zu beenden und neue Wege auch in diesem Bereich zu gehen. Somit darf QualiCert ab dem 2021 nicht mehr die hoch angesehene Norm Qualitop zertifizieren. Wir möchten hiermit nicht unterlassen, uns bei QualiCert und Paul Eigenmann für die sehr prägende wichtige Zusammenarbeit in den letzten Jahren zu bedanken.

Ab 2021 übernehmen verschiedene unabhängige Zertifizierer diese Aufgabe. In diesem Sinne ist es uns wichtig, als klares Signal für die Zukunft zu versprechen, dass Qualitop für Qualität, Transparenz und Unabhängigkeit steht. Dank diesem Relaunch profitieren auch die Kunden selbst von der Weiterentwicklung und grossen Erfahrung von Qualitop.

Krankenkassenanerkennung ist sichergestellt auch im Übergangs Jahr 2021

Damit der Übergang zur neuen Zertifizierungsstelle reibungslos abläuft, wurde mit den Krankenversicherer die Übereinkunft getroffen, dass für alle aktuell zertifizierten Qualitop Fitnesscenter die Zertifizierung für das Jahr 2021 automatisch erhalten bleibt, sofern diese sich bis Ende 2020 sich bei Qualitop neu angemeldet haben. Somit ist gewährleistet, dass genügend Zeit für den Wechsel zur neuen Zertifizierungsstelle vorhanden ist.

Neues vereinfachtes Zertifizierungsmodell und neue Preisstruktur

Ab 2021 können sich Mitglieder in einem 3-Jahres-Zyklus zertifizieren lassen und damit auch ihren Aufwand erheblich reduzieren. Ebenfalls hat diese Anpassung einen erheblichen Einfluss auf die Kosten.

Organisation Qualitop

Seit August 2020 übernimmt der neue Vorsitz Qualitop die Oberleitung und die Aufsicht sowie Kontrolle über die Geschäftsführung von Qualitop. Die Vorsitzmitglieder werden durch den Vorstand IG Fitness eingesetzt.

Vorsitz Qualitop: Michael Gilgen, Michael Thürlemann, Christian Feustle

Geschäftsführung Qualitop: Roger Erni

Norm (Center & Methodenanbieter)

Die Qualitop Normen für Center und Anbieter bleiben bis auf weiteres unverändert. Für folgende Normgebungen ist Qualitop 2021 zuständig:

Qualitop Center fernbetreut: Für Center, welche auch fernbetreute Zeiten anbieten

Qualitop Center betreut: Für Center, welche primär betreute Zeiten anbieten

Qualitop Methodenanbieter: Norm für Kurs- und weitere Trainingsanbieter

Die angepasste Norm Qualitop Center fernbetreut war per dato nicht aktiv, in diesem Sinne auf dem Markt, soll aber aufgrund der Transparenz eigenständig sichtbar gemacht werden. Ebenso wurden die Normen bei Qualitop Centern in die Gruppierung von Anforderungen für Anbieter und Standort neu zugeteilt. Um den Zertifizierungsprozess transparenter zu machen, unterstützt ein Qualitop Handbuch die Anbieter.

Im Jahr 2021 wird je eine Normierungskommission (Center & Kursanbieter) für die Weiterentwicklung der Normen beauftragt. Diese Kommission soll aus Vertretern der Branche und Wissenschaft zusammengesetzt werden. Ebenso soll vor Inkrafttreten der Norm während einer öffentlichen Ausschreibung die Möglichkeit gegeben werden, Anmerkungen vorzubringen. Dieser Prozess wird analog einem offiziellen Normungsprozess geführt.

Zertifizierungsprozess von Fitness­centern und Methodenanbietern ab 2021

Der Zertifizierungsablauf für die Fitnesscenter wird neu über drei Jahre geführt, analog von gängigen Zertifizierungsmodellen. Die Anbieteranforderungen werden in drei Jahren 1x überprüft und die beiden darauffolgenden Jahre jeweils in einem Aufrechterhaltungsaudit sichergestellt. Die Anforderungen des Standortes werden pro Standort 1x in 3 Jahren oder bei wesentlichen Änderungen vor Ort überprüft. Mit diesen Anpassungen möchte Qualitop einen weiteren Schritt in Richtung einer differenzierten Überprüfung und für mehr Sicherheit gehen.

Der Zertifizierungsablauf für Methodenanbieter wird über ein Jahr geführt. Nach der Erst-Zertifizierung erfolgt eine jährliche Re-Zertifizierung.

Interview Paul Eigenmann, Inhaber QualiCert

RG: Paul, du bist ja der eigentliche Gründungsvater von Qualitop und QualiCert und der ganzen Zertifizierung und Krankenkassenanerkennung der Fitnesscenter in der Schweiz. Erzähle uns, wie es dazu gekommen ist.

PE: In den frühen Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, hatte die SWICA – 1992 hervorgegangen aus dem Zusammenschluss der vier Krankenkassen OSKA, ZOKU, SBKK und Panorama – begonnen, mit Beiträgen an Fitnessabonnements intensiv Marketing zur Akquise und Bindung sogenannter «guten Risiken» zu betreiben. Sogenannte gute Risiken, sind Menschen, welche zwar die Prämien bezahlen, aber keine Kosten verursachen, weil sie nicht oder weniger krank werden als das durchschnittliche Krankenkassenmitglied. Dass Personen, die in Fitnesscentern trainieren, solche guten Risiken sein könnten, war eine sehr plausible Annahme der SWICA; denn Menschen, die sehr schwere körperliche Arbeit leisten, haben im Alter ein deutlich erhöhtes Krankheitsrisiko, trainieren aber in der Regel nicht am Abend nach der Arbeit noch im Fitnesscenter. Allerdings war der Fitnessmarkt 1992 noch ein ganz anderer als heute. Ein wesentlich grösserer Anteil als heute war männlich und jung. Und ganz banal gesagt: Junge Männer werden nicht krank und auch nicht schwanger, sie haben vielleicht Motorrad- oder Autocrashs in der Nacht von Freitag auf Samstag, aber das sind eben Unfälle und nicht Krankheit = Unfall- nicht Krankenversicherung!

Weil ich von Anfang 1981 bis Ende 1989 neben meinem Beruf als Sportlehrer auch eine kleine, aber feine Krankenkasse geführt hatte, kannte ich das Krankenkassenwesen recht gut und wusste, dass Marketing für Krankenkassen spätestens ab 1. Januar 1996 sehr wichtig wird; denn mit dem neuen Krankenversicherungsgesetz (KVG) wurden Krankenkassenwechsel stark vereinfacht und nicht mehr mit erhöhten Prämien bestraft. Es war klar, dass erfolgreiche Marketingmassnahmen schnell Nachahmer finden würden. Deshalb ist es ja auch so, dass sich heute kaum noch eine Krankenkasse leisten kann, keine solche Beiträge an Fitness-Abos – und natürlich noch weitere «gesundheitsfördernde Angebote» – zu entrichten. Diese Beiträge sind zu einer Art Standardleistung geworden.

Was angesichts des damaligen «Gesichts» der Fitnessbranche keine Krankenkasse unbesehen und beliebig bei allen Centern die Beiträge leisten wollte oder konnte. Die SWICA hatte dann mit einer Art Prüfung und vertraglicher (Monopol-)Verpflichtung versucht, den Markt einzugrenzen, oder wie man im Krankenkassenjargon sagt, eine «Preferred Provider Liste» zu erstellen, also eine Liste bevorzugter Leistungserbringer.

Du hattest mich als Gründervater von Qualitop bezeichnet, was zumindest teilweise stimmt. Es waren aber noch zwei weitere «Stiefväter» dabei. Der eine war Willi Seiler vom Trev-X (jetzt well come FIT) in St. Gallen, der andere war Dr. med. Gaudenz Bachmann (damals Leiter Managed Care bei der Helvetia, später Helsana). Ich brauchte damals einen langen Atem und schliesslich gaben einerseits Gaudenz Bachmann mit seinen Verbindungen, aber auch meine Connections, die ich mit der Fusion bzw. dem Anschluss «meiner» kleinen Krankenkasse gewonnen hatte, den Ausschlag. Eine Gruppe von Krankenversicherern fand meine Idee gut, mittels einer «Dritte-Partei-Zertifizierung» eine Preferred Provider Liste kartellgesetzkonform zu erstellen. Im Kartellgesetz heisst es nämlich, dass marktbestimmende Unternehmen nicht für sich selbst den Markt einschränken dürfen. So kam es im Mai 1996 zur Gründung von Qualitop als Verein gemäss Art. 60 ff. ZGB. Mitglieder waren nur die Krankenversicherer Swica, Concordia, KFW Winterthur (später Wincare, dann Sanitas) und Helvetia (nach dem Anschluss der Artisana dann Helsana) und etwas später noch die CSS. Ich wurde als Geschäftsführer bestellt. Gleichzeitig gab man mir Bescheid, dass keine Investitionen gesprochen würden, im Klartext: Es gab kein Geld!

Als Geschäftsführer war ich gezwungen, eine gewisse Innovation walten zu lassen. Ich hatte Glück, dass die Lösung ganz nahe vor meinen Augen lag, nämlich im Schulwesen, wo ich zu dieser Zeit an der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen ja tätig war: Die Investition in eine Prüfung, eine Klausur findet vor der Prüfung statt und die Note zählt für das Weiterkommen nach der Prüfung. Mit der Vorauszahlung der für eine Zertifizierung nötigen Konformitätsübprüfung konnte der Betrieb vorerst zumindest jeweils etwa ein halbes Jahr finanziert werden. Nachher half ich jeweils mit meinen Ersparnissen aus. Der Zeitpunkt, zu welchem meine Hilfe nötig wurde, verschob sich dann mit der Zeit immer später ins Kalenderjahr, aber ganz ohne Aussenhilfe – fehlende Startinvestition – ging es nie.

Und ausserdem: Mit einer sehr grossen Studie durch Prof. Gutzwiler von der Universität Zürich konnte 1998 auch belegt werden, dass die Mitglieder in Fitnesscentern bei den Krankenversicherern in allen Alterskategorien weniger Krankenversicherungsleistungen gemäss KVG bezogen als jene Versicherten, die aufgrund ihrer Zusatzversicherung zwar ebenfalls Beiträge an Fitness-Abos hätten einfordern können, davon aber keinen Gebrauch machten.

RG: Es gab damals aber immer wieder Kritik hauptsächlich vom SFGV (damals noch SFCV), dass bei Qualitop keine Gewaltentrennung herrsche. Dies habt ihr dann aber gemacht. 

PE: Deine Frage zeigt exemplarisch auf, wie zutreffend ein Zitat ist, das Helmut Kohl einst bei einer Rede im Bundestag nutzte. «Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht bewältigen.» Viele können oder wollen in der Angelegenheit der Zertifizierung von Fitnesscentern eben die Gegenwart nicht verstehen und werden deshalb auch die Zukunft nur mit Mühe bewältigen.

Das Problem der fehlenden Gewaltentrennung war mir als Geschäftsführer von Anfang an bewusst, aber weil die Zertifizierung von Fitnesscentern weltweit ein Erstling war, musste zumindest zu Beginn eine Institution alles machen. Trotzdem machte der Verein Qualitop schon zu Beginn erste Schritte in Richtung Gewaltentrennung, indem unter Mithilfe des BASPO eine vereinsinterne Normungskommission installiert wurde, in welcher im Sinne einer demokratischen Legitimation auch Vertreter interessierter und betroffener Kreise Mitglied werden konnten, obwohl sie nicht Mitglied des Vereins Qualitop selbst waren. Zu diesen «Fremdmitgliedern» der Normungskommission gehörten der Schweizerische Fitnesscenter Verband, Kieser Training, die Migros und das Bundesamt für Sport. Dazu kamen selbstverständlich die Krankenversicherer.

Dies war aber natürlich noch nicht genug. Im Jahre 2005 wurde ein zweiter Schritt zur Gewaltentrennung durchgeführt, in dem die Normungskommission aus dem Verein Qualitop herausgelöst und eine Interessengemeinschaft als Verein gemäss Art. 60 ff. ZGB gegründet wurde. Zwar war jetzt diese Normungskommission selbständig und vom Verein Qualitop unabhängig, einen Schönheitsfehler hatte sie aber immer noch: Die Krankenversicherer sassen in beiden Gremien, weil sie ja als alleinige Mitglieder die «Besitzer» des Vereins Qualitop waren.

RG: Die doch sehr wichtige Gewaltentrennung war also immer noch nicht vollzogen. Was war denn die Problematik bei der Lösung dieses Problems?

PE: Es ist natürlich richtig, Gewaltentrennung ist eine sehr wichtige Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit einer Zertifizierung. Um dieses Problem zu lösen, mussten die Krankenversicherer entscheiden, welchem Gremium sie angehören wollten, auf welche Mitgliedschaft verzichtet werden sollte. Das taten die Krankenversicherer denn auch und entschieden sich – mit einem Seitenblick auf das Kartellgesetz – dass die zwar bei der Normung, aber nicht bei der Zertifizierung, also beim Verein Qualitop (die Zertifizierungsinstitution), dabei sein wollten. Ein Verein braucht aber Mitglieder und diese Mitglieder mussten für den Verein begrenzt haften. Qualitop hatte zwar seinen anfänglichen massiven Verlustvortrag auf rund CHF 200’000 reduziert. Trotzdem konnten die Krankenversicherer ja nicht einfach davonlaufen. Also liess man ein Gutachten durch PricewaterhouseCoopers erstellen, welches den Wert und die Zukunftsaussichten des Vereins Qualitop verlässlich schätzen sollten. Angesichts der Unsicherheiten (Unvorhersehbares Verhalten der Krankenversicherer) wurde eine «sanfte» Sanierung der Bilanz auf plus CHF 20’000 mit anschliessender Wandlung in eine GmbH auf den 1. August 2008 vorgeschlagen. Die Frage war nur, wer denn diese sanfte Sanierung und die Anwalts- und Verfahrenskosten tragen sollte, zumal dann auch noch eine «Neu-Branding» bevorstand, weil man aus Wettbewerbsgründen nicht wollte, dass die Zertifizierungsinstitution gleich wie das Normative Dokument und das Label heissen würde, also eben nicht Qualitop. Die Zeichen standen also auf Verkauf, aber PricewaterhouseCoopers hatte darauf hingewiesen, dass eigentlich nur ein potentieller Käufer in Frage kam und das war meine Wenigkeit; denn ich hatte im Zuge der Sparmassnahmen bei Qualitop die spezielle Betriebssoftware für Zertifizierung finanziert. Die Krankenversicherer waren auch zu dieser Investition – nachvollziehbar – nicht bereit. Weil ich von der langfristigen Bedeutung (siehe Zitat Kohl) einer Zertifizierung überzeugt war, investierte ich im Alter von 61 Jahren für die Ausfinanzierung, den Kauf, die Anwaltskosten und das Neu-Branding einen signifikanten Anteil meiner Pension und kaufte die QualiCert AG. An dieser Stelle ist es mir auch wichtig festzuhalten, dass der Rechtsnachfolger vom 1996 gegründeten Verein Qualitop eben QualiCert ist.

RG: Die Uneinigkeiten mit dem SFGV gingen aber weiter.

PE: Jein, es waren eigentlich weniger Uneinigkeiten zwischen QualiCert und dem SFGV, als vielmehr zwischen dem neuen Normungsverein Qualitop und dem SFGV. Diese Uneinigkeiten betrafen QualiCert natürlich schon stark; denn letztlich ging es um die Norm, nach der QualiCert zertifizierte. Im Jahre 2013 eskalierte die Situation, weil der SFGV zusammen mit dem BGB (Berufsverband für Bewegung und Gesundheit) aufgrund der statutarischen Vorgaben für qualifizierte Mehrheiten die Arbeiten im Normungsverein Qualitop blockieren konnten und die Krankenversicherer letztlich die Auflösung des Vereins durchsetzen konnten. Genau auf den Ablauf der Zeit, als die Frist für die vertragliche Mithaftung der Krankenversicherer für QualiCert ablief.

Mit dem Auflösungsbeschluss kam es zur Liquidation des Vereins und zum Verkauf der Aktivpositionen «Marke Qualitop» und «Normatives Dokument Qualitop». Dies wurde dann vom SFGV dazu benutzt, um einerseits die Mitteilung zu verbreiten, dass QualiCert keine Norm für die Zertifizierung zur Verfügung stehe. Fast gleichzeitig trat dann der SFGV mit der Sterneklassifikation in den Markt ein. Dies war eine kritische Situation, die aber dadurch entschärft wurde, dass Anfang 2014 im Rahmen der Liquidation ein Konsortium mit verschiedenen Fitnessketten das Label und das Normative Dokument Qualitop ersteigerte. QualiCert war an der Versteigerung auch dabei, nahm aber am Bieterverfahren nicht aktiv teil, weil vom Ersteigerer erwartet wurde, dass der bisherige Zustand (= Qualitop-Normungsverein) wiederhergestellt würde. Leider war dies dann nicht der Fall; denn das Konsortium gründete den Branchenverband IG Fitness Schweiz, dessen Mitglieder auch heute noch mehrheitlich die Center von grossen Ketten sind (Activ Fitness, Let’s Go, update, ONE Training Center, basefit.ch und weitere).

RG: Ihr seid aber weiterhin das Zertifizierungsinstitution für Qualitop geblieben?

PE: Ja, die QualiCert AG war und blieb während der ganzen Zeit die Institution, welche nach dem Normativen Dokument Qualitop zertifizierte. Allerdings mussten für die Nutzung der Norm und des Labels jährlich rund CHF 100’000 an die IG Fitness abgeliefert werden, das heisst der Branchenverband IG Fitness finanzierte sich über Zertifizierungsgebühren, erbracht auch durch viele Einzelcenter. Das war eine sehr unschöne Situation; denn es gab doch einige Center, die QualiCert mit genau dem Argument «Obwohl Ihr (= QualiCert) Eure Arbeit gut macht, bin ich nicht bereit, den Verband meiner Konkurrenz mitzufinanzieren». Dagegen gab’s keine Argumente…

RG: Was passierte dann?

PE: Weil die IG Fitness sich aus Sicht von QualiCert viel zu wenig und auch nicht demokratisch legitimiert, das heisst mit allen Vertretern der Branche um die Erneuerung des Normativen Dokumentes Qualitop kümmerte, kündigte QualiCert den Vertrag mit der IG Fitness per Ende 2018. Zwar hatte QualiCert im Jahre 2019 noch einmal einen Vertrag mit der IG Fitness abgeschlossen, der noch höhere Abgaben vorsah aber insbesondere zu einer Entwicklung bei der Neugestaltung des Normativen Dokumentes Qualitop führte, die nicht im Sinne von QualiCert waren, denn im Jahre 2018 wurde auch der Verein QTB gegründet, der die neu geschaffenen Normativen Dokumente und Label Fit[Safe], EMS[Safe] und weitere besitzt und pflegt, sodass QualiCert heute auch nach anderen, moderneren Normen zertifizieren kann. Diese Normativen Dokumente wollte die IG Fitness bei der Neugestaltung des Normativen Dokumentes Qualitop teilweise einfach «kopieren». Aus dieser Entwicklung entstand darauf, nach einem Interview mit dem Präsidenten von QTB in der FITNESS TRIBUNE vor ziemlich genau einem Jahr, ein ziemlicher Konflikt zwischen der IG Fitness und QualiCert.

RG: Ihr fandet dann aber wieder eine gemeinsame Lösung?

PE: Ja, zumindest glaubte QualiCert das eine Weile. Anfang 2020 fanden verschiedene Sitzungen statt, die am 25. Februar 2020 zu einer vermeintlichen Lösung zwischen der IG Fitness und QTB führten. Der Einigung lag die Erkenntnis zu Grunde, dass eine Organisation geschaffen werden sollte, welche demokratisch legitimiert Normen verwaltet und pflegt und nicht auch noch wirtschaftliche und andere Brancheninteressen wahrnimmt. Für diese neue Organisation mit paritätischen Vertretungen zwischen QTB und IG Fitness und anderen Marktvertretern bestanden auch bereits provisorisch akzeptierte Statuten, doch dann kam Corona…  und liess wohl alles vergessen.

Ende Juni 2020 wurde der Vertrag zwischen QualiCert und der IG Fitness, auf deren Wunsch, aber im gegenseitigen Einvernehmen per 31.12.2020 beendet. Alle Ketten wussten aber bereits, dass QualiCert ein neues Konzept entwickelt hatte und dieses auch vorstellen wolle. Diese Vorstellungen finden auch statt, nur die Migros hatte die Nennung einer oder mehrerer Kontaktpersonen trotz Nachfragen einfach negiert…

RG: Was stört dich nun am aktuellen Vorgehen der IG Fitness?

PE: Die IG Fitness Schweiz hat getarnt als Qualitop mit einem Versand und Publikationen auf der Webseite nicht nur den Eindruck erweckt, dass QualiCert keine Norm zum Zertifizieren mehr hätte, nein sie hat sogar ein Formular zur Beantragung eines neuen Vertrages versandt. Da ist Klarstellung nötig! QualiCert wird wie seit 25 Jahren auch in Zukunft zertifizieren! QualiCert kann nach mehreren Normen zertifizieren, sogar nach einer offiziellen Schweizer Norm. QualiCert ist nicht vom Normativen Dokument Qualitop abhängig. Qualitop, unter dessen Label und Erscheinungsbild die IG Fitness auftritt, ist weder eine natürliche noch eine juristische Person und kann deshalb keine Verträge abschliessen. Die IG Fitness resp. die Kreise, welche die Initiative zum Start einer eigenen Zertifizierung umgesetzt haben, waren sich natürlich bewusst, dass mit einem Auftreten unter der Tarnung von Qualitop eine grosse Unsicherheit entstehen würde, denn bis anhin hatte, seit nun mehr fast einem Vierteljahrhundert, immer nur QualiCert als rechtliches Nachfolgeunternehmen des ursprünglichen Vereins Qualitop, regelmässigen Kontakt mit den Fitnesscentern. Qualitop und QualiCert können von sehr vielen Marktteilnehmern nicht unterschieden werden.

Gegebenenfalls abgeschlossene Verträge für eine Zertifizierung nach dem Normativen Dokument und der Verleihung des Labels Qualitop, müssen mit der IG Fitness abgeschlossen werden. Und auch die sogenannten unabhängigen Zertifizierer stehen im Solde der IG Fitness; denn die Gebühren für die Zertifizierung werden von der IG Fitness kassiert.

Die Zertifizierung nach Qualitop ist zu einer «Ersten-Partei-Zertifizierung» geworden. Migros und Co. zertifizieren sich sozusagen selbst. Von Gewaltentrennung kann nicht mehr die Rede sein… Die Antwort auf die Frage, ob das im Interesse der Branche ist, muss die Branche geben. Qualitop bzw. eben die IG Fitness haben sogar EMS-Studios angeschrieben, dabei gibt es im Normativen Dokument Qualitop gar keine Anforderungen für EMS. Dabei wären solche Anforderungen gerade bei Elektromyostimulation besonders wichtig.

RG: Wie geht es mit QualiCert nun weiter?

PE: Wir machen auf jeden Fall weiter. Ob Fitnesscenter oder Kursanbieter aus dem Bereich Gesundheitsförderung und Prävention – QualiCert verhilft seinen Kunden zu Qualität und Sicherheit. Wir sind das grösste Prüfinstitut der Schweiz, welches Personen und Angebote aus dem gesundheitsfördernden Bewegungs- und Trainingsbereich zertifiziert. Ausschliesslich nach klaren, verbindlichen Kriterien. Ein Zertifikat durch QualiCert zeichnet eine hohe Qualität aus. Dieser Ausweis sorgt für Vertrauen und Rechtssicherheit.

RG: Jetzt gibt es in der kleinen Schweiz drei Möglichkeiten sich als Fitnesscenter zertifizieren zu lassen. Birgt dies nicht die Gefahr, dass der Wertigkeit der Zertifizierung dadurch abgewertet wird und es den Krankenkassen zukünftig egal ist, ob ein Center eine Zertifizierung hat oder nicht?

PE: Ja, und mit dieser letzten Frage kommen wir zum dritten Teil des Zitates von Helmut Kohl, nämlich der Zukunft. Es ist durchaus möglich, dass die Krankenversicherer das Chaos, das sie allerdings – aus wirtschaftlichen Gründen durchaus auch verständlich – zu einem grossen Teil selbst verursacht haben, satt bekommen und das machen, was Ihnen nach Kartellgesetz offensteht. Entweder sie leisten diese Beträge unbesehen überall oder sie schränken den Markt für sich über separate Vereinbarungen mit Verbänden usw. ein.

RG: Und was ist daran das Problem?

PE: Das Problem besteht jetzt nur für die richtigen und angeblichen Zertifizierungsinstitutionen. Längerfristig wurde aber ein System zerstört, dass zukünftig sehr wichtig sein wird. Fitnesscenter insbesondere mit ihrem USP, aber auch andere gesundheitsfördernde Angebote, müssen sich, um als systemrelevant wahrgenommen zu werden und gegebenenfalls tatsächlich als präventive und kurative Dienstleistung in das Gesundheitssystem aufgenommen zu werden, qualifizieren. Selbstdeklaration gilt nicht! Und eine gute Basis für Qualifizierung durch eine «Dritte-Partei-Zertifikation» ist man im Begriffe zu zerstören. Es kommt dann zu einer Qualifizierung durch fremde Interessensgruppen.

Das tut mir echt leid für diese Branche, in der ich nun schon seit 53 Jahren Mitglied in einem oder mehreren Centern bin.

RG: Danke Paul für dieses Interview.