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Mit dem Kopf durch die Wand

Es wäre doch so einfach, würden wir nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen und Schmerzen nach wie vor als teilweise «normale Beschwerden» betrachten. Schon zu Beginn meiner Karriere, was zum Glück – oder auch leider – schon einige Zeit her ist, fiel mir auf, dass sich beim Erstgespräch, also der Standortbestimmung, mit einem neuen Kunden selten die ganze Wahrheit zeigt. Sehr oft kamen im Nachhinein noch Nackenbeschwerden, Rücken-, Kopf oder Fussschmerzen mit dazu. Oft dann, wenn dem Kunden eine Übung gezeigt wurde, welche für genau diese Beschwerden eben nicht angebracht sind.

Typisches Beispiel hierbei ist die Schulterpresse, Upright Row, Kniebeugen mit Rückengewicht etc., dann kam auf einmal: «Autsch, das ist für meinen Nacken nicht gut». Ja klar, weiss ich auch, hättest es einfach nur sagen sollen! Spass beiseite… Wenn ich von einem Kunden etwas nicht weiss bzw. ich ihm eine Übung gebe, welche für ihn ungeeignet ist, dann muss ich mich hinterfragen, warum ich diese Information nicht vorher erhalten habe. Der Kunde hat sich in deine Verantwortung begeben und du musst dafür sorgen, dass du alle relevanten Informationen bekommst.

Lange Rede kurzer Sinn, ich habe mir angewöhnt den Kunden nach genau diesen spezifischen Beschwerden zu fragen. «Haben Sie Beschwerden am Bewegungsapparat» oder «leiden Sie unter Rückenschmerzen» reicht leider oft nicht aus. Für den Kunden sind seine morgendlichen Anlaufschwierigkeiten, seine wöchentlich wiederkehrenden Kopfschmerzen, die schmerzenden Füsse oder das leichte Ziehen in der Schulter zur Normalität geworden.

Also fragt bitte explizit nach:

  • Fühlen Sie sich unbeweglich oder steif am Morgen?
  • Leiden Sie regelmässig unter Kopfschmerzen?
  • Verspüren Sie ein Ziehen im Nacken?
  • Verspüren Sie «Verspannungen» im Rumpfbereich?
  • Haben Sie Beschwerden bei längerem Sitzen? Wenn ja wo?
  • Im Idealfall solltet ihr dann auch die entsprechenden Indikationen bereithalten. Auf eine Beschwerde wollen wir heute gezielt eingehen; den Kopfschmerzen, welche mit den Nackenbeschwerden oft eine Symphonie bildet, welche es bis in die «schwarze Oper» schafft.

Um Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen bzw. durch das Training nicht noch zu verschlimmern braucht ihr einige Werkzeuge:

  • Das Wissen über die Anatomie des Kopfes und des Nackens
  • Die «No-Go» Übungen bei derartigen Beschwerden zu kennen
  • Die «Positive Outcome» Indikationen zu kennen
  • Einige Massageutensilien wie Doppelball, Releaser oder Minirolle
  • Ein motivierter und einsichtiger Kunde
  • Vertrauen in dein Handwerk

Alle nennen sich Gesundheitscenter, nur wenige trauen sich wirklich!

Wann immer es um Kopfschmerzen geht, kommt immer der Nacken mit ins Spiel, der Kopf wird meistens in zweideutiger Hinsicht ausser Acht gelassen. Das kommt etwa dem gleich, als hätte ich Kniebeschwerden und würde nur am Unterschenkel arbeiten, was übrigens durchaus sinnvoll ist. Doch niemand mit Kniebeschwerden würde nicht auch untersuchen lassen was mit dem Knie los ist bzw. was ich dort machen kann. Warum ist das beim Kopf anders? Es wird uns nicht beigebracht.

Bevor ich in die eigentliche Materie eintauche, möchte einen kleinen Umweg in die Gesundheitsbranche machen. Es werden nun natürlich die Kritiker kommen und sagen, dass der Kopf eine zu sensible und empfindliche Struktur ist: «Da darf man nicht einfach rumdrücken!». Natürlich darf ich nicht einfach rumdrücken, doch der Kopf hält sehr viel aus.

Ein bemerkenswerter Tauch-Rekord von 214 m Tiefe wurde von dem österreichischen Apnoe-Taucher Herbert Nitsch im Jahr 2007 – mit einem einzigen Atemzug, ohne zusätzliche Luftversorgung aufgestellt. Das bedeutet, der Druck auf seinen Schädel lag bei 22 bar bzw. 22,43 kgf/cm2 also 22 kg Druck auf eine Fläche von 1 cm. Da der Druck gleichmässig verteilt ist, hinkt der Vergleich etwas.

Nehmen wir mal Boxen, dort kommen wir der Sache schon näher. Iron Mike, also Mike Tyson der Ohrbeisser hat den vermeintlichen Rekord mit 590 kg. Wladimir Klitschko wird mit 700 kg gemessen. Oliver Schawe, ein Kickboxer hatte einen Kick von 1’200 kg, welcher zwischendurch auch mal am Kopf eines Gegners landete… bisher ist keiner seiner Gegner gestorben.

Warum schreibe ich das alles? Hört bitte endlich auf unsere Strukturen als derart zerbrechlich zu betrachten, als das wir mit unseren Händen bei einfacher Berührung Schaden verursachen können. Begreift bitte im doppelsinnigen Wortlaut, dass wir als Fitnesstrainer mit dem nötigen Hintergrund die Gabe und Fähigkeiten haben für die Schmerzbewältigung. Absolut richtig ist, dass wir nur mit dem nötigen Wissen an diese Strukturen sollten, doch das ist ja überall so. Wenn ich etwas für das Knie mache, muss ich vorher auch wissen was ich dort machen kann. Beim Kopf ist das nicht anders. Und ja, wir können bei unseren Kunden damit enorm vieles bewirken.

Damit stehen wir beim nächsten Kritik-Punkt: «An den Kopf sollten sich nur Fachpersonen wenden!»

Solltest du ein Verfechter dieser Meinung sein, dann nehme ich an du bist nicht Inhaber eines Gesundheitscenters, womit ich deine Aussage nachvollziehen kann und ich es als Einstellungssache absolut okay finde.

Solltest du aber ein Verfechter der Aussage «An den Kopf sollten sich nur Fachpersonen wenden!» sein und ein Gesundheitscenter leiten, dann schliess bitte die Türen.

Wenn wir ein Gesundheitscenter betreiben, was ja letztlich ein Fitness-center mit anderem Namen ist, und du bist der Meinung, dass deine Fitnesstrainer diesbezüglich keine Fachpersonen sind, dann ist etwas ganz gewaltig falsch gelaufen.

Wir haben alles zur Hand, wir müssen es nur einsetzen. Und ja, ich weiss es ist nicht einfach kompetente Trainer zu finden, welche sich dann auch noch für ihren Job ernsthaft interessieren und denen Gesundheitstraining genauso wichtig ist.

Gesundheitscenter haben Gesundheitstrainer, keine Fitnesstrainer

Fitnesstrainer die in einem Gesundheitscenter arbeiten sind Gesundheitstrainer bzw. wurden zu solchen geschult. Alles andere ist die reine Verarschung der Kunden! Gehe ich in ein Kampfsportcenter erwarte ich auch keinen Wellnesstrainer, oder schon?

Was wie eine Wortspielerei klingt ist eine Verantwortung, welche wir mit dieser Benennung auf uns nehmen und der gegenüber wir eine Verpflichtung haben. Ich bin froh, dass es diesbezüglich immer mehr Vorstösse gibt. Es ist also eine Frage der Zeit und ein Umkehren der alten Socken, bis es im Center Standard ist, dass der Trainer kleinere Indikationen für die Schmerzlinderung vornehmen kann. Denn er macht es ja jetzt schon, nur benennen wir es anders.

Das werdet ihr in der nächsten Ausgabe erfahren:

Die komplette Anatomie des Nackens bzw. des Kopfes durchzugehen würde den Rahmen hier sprengen. Ich beschränke mich daher auf die Strukturen, welche meist ungeachtet bleiben im Fitnesscenter.

Die Kopffaszien

Die meist vernachlässigte Struktur nebst den Füssen. Lerne die faszialen Strukturen am Kopf zu lösen und zu trainieren

Die myofaszialen Einheiten am Nacken

Lerne, welche Massnahmen am Nacken du ganz einfach bei deinen Kunden anwenden kannst.

Die myofaszialen Einheiten am Hals, der Stirn und was die Augen dazu beitragen.

Speziell die Augen sind ein «beliebter» Auslöser für Kopfschmerzen. Sie sind bei schlechter Haltung unter einer Dauerspannung. Wir zeigen dir wie du sie löst.

Ronald Jansen

www.360-pain-academy.com