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Längentraining versus Dehnung

Sagt ein Physio zu einer Antara-Trainerin, «heute dehnt man nicht mehr, das bringt nichts, sondern man macht Längentraining! Längentraining verbessert die Beweglichkeit.»

Aha, interessant.

Was ist denn der Unterschied zwischen Längentraining und Dehnung? Wie definiert sich Längentraining und was machen Sie anders, was ist der Unterschied zu einem Dehnreiz?

Vorreiter des «Längentrainings» wie es heute in Konzepten wie «five» und «flexx» vermittelt wird, ist Dr. Walter Packi. Schon in den 90er Jahren, wo viele noch nach Anderson in statischen Positionen auf Dehnung gewartet haben, hat er die Lehrmeinung vertreten, dass «exzentrische Kontraktion» bessere Resultate bringt, als das Ziehen an einem entspannten Muskel. Ich war, aus Erfahrung, immer seiner Meinung, diese konnte jedoch wissenschaftlich nicht bewiesen werden.

Sergei Aschwanden in Adduktoren-Dehnungen

Verwirrend in der Terminologie ist, dass man diese Dehnungen nicht «aktives Dehnen» nennen kann, denn das aktive Dehnen ist, wenn der Antagonist zieht. Die Dehnungen, die Packi empfohlen hat, sind Dehnungen, wo der gedehnte Muskel aktiv ist.

Die meisten Übungen im «five» und im «fle-xx»-Konzept finde ich persönlich sinnvoll und interessant. Es kommt natürlich noch darauf an, wie es angeleitet wird.

Eine Hauptkritik der Vertreter des «Längentrainings» am Dehnen ist: «Die Perspektive aus der modernen Hirnforschung offenbart, dass passive oder stereotype Dehnungen sowie isolierte lineare Dehnungskomponenten wenig Spuren im Gehirn hinterlassen und keine nachhaltigen Effekte zeigen können. Zu extreme, zu schnell und zu häufig ausgeführte Dehnungsbemühungen sowie der falsche Zeitpunkt oder ein Zuviel an stereotypen Wiederholungen zeigen vor diesem Hintergrund wenig Effizienz». «Zitat: Mosetter 2014» Mit dieser Aussage kann man zwar langatmige Seminare begründen, es ist jedoch einfach eine Behauptung. Ich habe dazu keine Studie gefunden, weder in der Hirnforschung noch in den Trainingswissenschaften.

Was mir an der Aussage gefällt, ist, dass im Gegensatz zu anderen Konzepten, das Gehirn eine zentrale Rolle spielt. Was ich an Dehnungen und Dehnungsausführungen im Internet gesehen habe, ist gruselig.

Wenn ich meine Definition eines Dehnreizes betrachte, nämlich «Ein Dehnreiz ist dann wirksam, wenn am Bewegungsende ein relevanter Reiz gesetzt wird», dann ist da alles mit drin. Der Reiz kommt im Hirn an, arbeitet am individuellen neuralen Muster und führt unter Umständen zu einer Veränderung der Strukturen. Ob diese Veränderung im Muskelgewebe, in den Faszien, in den Bändern, in den Gelenkkapseln ist, oder ob als erstes das Titin beeinflusst wird, da streiten sich die Wissenschaftler (beziehungsweise, da pflegt jeder seinen eigenen Garten).

Wird jedoch ein exzentrischer Trainingsreiz nicht bis an das Bewegungsende geführt, sondern der Umkehrpunkt vorher gewählt, dann kann keine Längenveränderung stattfinden, dann ist es ein exzentrischer Kraftreiz und kein Dehnreiz.

Wird regelmässig ein Reiz ans Bewegungsende gesetzt, dann wird an der individuellen neuralen Norm gearbeitet. Die Toleranz für den gesetzten Reiz wird grösser, es wird eine neue Norm im Hirn erschaffen. Man nennt das «Verbesserung der Beweglichkeit».

Jetzt fehlt nur noch die Frage: Wann ist eine Dehnübung eine exzentrische Kontraktion? Und wann zieht man an einem passiven Muskel? Was denken Sie?

Ich habe mein Stretching-Repertoire in meinem Buch «Stretching – das Expertenhandbuch» durchgeschaut und habe fast nur exzentrische Kontraktion gefunden.

Ich habe mir dann Übungen zum Längentraining angeschaut und habe keine neue Dehnübung gefunden, jedoch einiges sehr Fragwürdiges: Googelt mal «Längetraining»-Bilder – viel Spass 🙂

Aus meiner über 30jährigen Unterrichtserfahrung, ist mir nicht die Frage nach aktiv oder passiv wichtig, sondern in erster Linie die Frage nach der geforderten Funktion. Was für eine Bewegung soll denn gekonnt werden? Was für eine Körperhaltung erlaubt denn freies Atmen, freie Bewegung im Alltag und Schönheit?

Auch beim Dehnen und bei der Übungsauswahl der Dehnübungen kommt es sehr auf das Ziel an. Ich arbeite mit den Tänzern ganz anders als in einem funktionellen Rückentraining.

Ich verstehe, dass jemand (auch mit besten Absichten und wertvollen Inhalten) fünf-, sechs-, sogar zehntägige Ausbildungen anbieten und verkaufen will. Auch, dass man dies dann Längentraining, die Trainer Mobility-Trainer oder Myofasciale-Gesundheitstrainer nennt, ist ok, es ist Business. Dabei jedoch klassische Dehnungen, klassisches Beweglichkeitstraining, welches Generationen von Tänzern und Athleten beweglicher machte und macht, als nicht funktionierend zu betrachten, zeugt von Naivität oder Inkompetenz.

Ich habe in den letzten 30 Jahren so viele wissenschaftliche Studien zum Dehnen gelesen, so viele Erklärungen und Lehrmeinungen, so vieles durfte ich lernen, viel Begründungen musste/durfte ich kompostieren. Ich habe mich den Dehngegnern (Kieser, «holländische Physios») widersetzt und ausgesetzt, habe Aberhunderte von Dehneinheiten unterrichtet und x-Trainer ausgebildet – Trends kamen, Trends gingen…

Eines jedoch ist immer gleich geblieben: Will man mehr Länge, muss am Bewegungsende ein relevanter Reiz gesetzt werden – Punkt.

Stretching und Beweglichkeit das neue Expertenhandbuch

Karin Albrecht

Stephan Meyer

3., überarbeitete Auflage

Karin Albrecht

Karin Albrecht

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www.star-education.ch