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Kontraindikationen Ganzkörper-EMS – Spannungsfeld zwischen Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der GK-EMS

In den letzten Jahren hat die Ganzkörper-EMS-Technologie sukzessive im Fitnessbereich Einzug gehalten (Eifler et al., 2017). Aufgrund der nachweislichen Effektivität und Zeit-effizienz (hoher Trainingseffekt bei gleichzeitig geringer Zeitinvestition) erfreut sich das GK-EMS-Training zunehmender Beliebtheit.

Absolute Kontraindikationen für Ganzkörper-EMS

Auf der einen Seite stellt GK-EMS bei korrekter Anwendung eine effektive sowie sichere Trainingsform dar. Auf der anderen Seite ist jedoch unbestreitbar davon auszugehen, dass eine missbräuchliche Applikation unerwünschte und unter Umständen gravierende Nebenwirkungen auslösen kann. Das Gefährdungspotenzial entsteht durch die grossflächige Anwendung des GK-EMS-Trainings (simultane Kontraktion grosser Muskelareale) in Verbindung mit der Möglichkeit, eine für jede Körperregion supramaximale Reizintensität generieren zu können. Aufgrund dieses Gefährdungspotenzials ist die GK-EMS hinsichtlich unerwünschter Nebenwirkungen nur bedingt mit einem klassischen Krafttraining zu vergleichen. Daraus resultieren die Notwendigkeit einer Formulierung von Leitlinien zur effektiven, aber sicheren Applikation sowie die formelle Regelung von Ausschlusskriterien für das GK-EMS-Training.

Hinsichtlich der Anamnese, der Ersteinweisung, der Applikation, des Betreuungsverhältnisses von ausgebildeten und möglichst lizenzierten GK-EMS-Trainer/innen und der sicheren Durchführung eines entsprechenden Workouts wurden bereits 2016 erste Leitlinien formuliert (Kemmler et al., 2016). Darauf aufbauend wurden in Deutschland weitergehende formalisierte Regelungen hinsichtlich Kontraindikationen für ein GK-EMS-Training in einer nationalen Norm aufgeführt. Diese sollen EMS-Betreibern sowie -Trainer/innen als Orientierungshilfe in der täglichen Trainingsroutine dienen, indem Ausschlusskriterien für ein solches Training definiert werden.

In dieser deutschen Norm für die GK-EMS-Anwendung bei kommerziellen Fitnessanbietern wird zwischen absoluten und relativen Kontraindikationen differenziert. Bei dem Vorliegen absoluter Kontraindikationen ist ein GK-EMS-Training aufgrund potenzieller Gefährdung und möglicher Schädigung grundsätzlich abzulehnen. Ein solches Workout wäre mit zu hohen Risiken verbunden und aufgrund der Sorgfaltspflicht gegenüber den Kunden nicht vertretbar durchzuführen. Zu diesen absoluten Kontraindikationen zählen die folgenden Faktoren:

  • Akute Erkrankungen, bakterielle Infektionen und entzündliche Prozesse
  • Kürzlich vorgenommene Operationen
  • Arteriosklerose, arterielle Durchblutungsstörungen
  • Stents und Bypässe, die weniger als sechs Monate aktiv sind
  • Unbehandelter Bluthochhochdruck
  • Diabetes mellitus
  • Schwangerschaft
  • Elektrische Implantate, Herzschrittmacher
  • Herz-Rhythmus-Störungen
  • Tumor- und Krebserkrankungen
  • Blutungsstörungen, Blutungsneigung (Hämophilie)
  • Neuronale Erkrankungen, Epilepsie, schwere Sensitivitätsstörungen
  • Bauchwand- und Leistenhernien
  • Akuter Einfluss von Alkohol, Drogen oder Rauschmittel

Diese formale Regelung der absoluten Kontraindikationen in der deutschen Norm hat seit der Veröffentlichung im Jahr 2018 zu einigen Diskussionen geführt, da wissenschaftliche Befunde durchaus die Effektivität der GK-EMS bei verschiedenen Erkrankungen belegen.

Diabetes mellitus Typ 2 ist ein gutes Beispiel, um dieses Spannungsfeld zwischen Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der GK-EMS zu verdeutlichen. Körperliche Aktivität und sportliches Training gelten als zentrale Interventionen zur Prävention und Therapie des Typ-2-Diabetes (Mooren & Knapp, 2018). Auf der einen Seite belegen verschiedene Studien die Effekte der GK-EMS auf die Körperkomposition (Kemmler et al., 2018), den Energieverbrauch und den Glukosestoffwechsel (Teschler et al., 2018; van Buuren et al., 2015). Darüber hinaus wurden insbesondere in klinischen Studien keine negativen Nebenwirkungen verzeichnet (van Buuren et al., 2015). Auf der anderen Seite muss jedoch bedacht werden, dass die hohen Trainingsstimuli der GK-EMS bei Typ-2-Diabetikern sehr schnell zu einer akut lebensgefährlichen Hypoglykämie führen können. Die Steuerung der Impulsstärke über das subjektive Belastungsempfinden kann bei der GK-EMS wiederum durch Störungen der neuronalen Sensitivität beeinträchtigt sein. Es droht die Gefahr einer zu hohen Belastung und daraus resultierend das Risiko einer akuten Unterzuckerung. In einem klinischen Setting mit einer Eins-zu-eins-Betreuungsrelation und medizinisch-therapeutisch qualifiziertem Personal kann bei solchen Nebenwirkungen adäquat reagiert werden. In einem kommerziellen Fitnessunternehmen darf man aber nicht von solchen Rahmenbedingungen ausgehen, da hier ein Trainer bisweilen mehr als nur einen Kunden bei der GK-EMS betreut und medizinisch-therapeutische Qualifikationen nicht als Standard gelten. Auf der Basis dieser Fakten wird Diabetes mellitus grundsätzlich als absolute Kontraindikation für die GK-EMS im kommerziellen Fitnessbereich eingestuft.

Relative Kontraindikationen für Ganzkörper-EMS

Während die absoluten Kontraindikationen keinen Interpretationsspielraum zulassen, regeln relative Kontraindikationen Faktoren, die nicht generell als Ausschlusskriterien für ein GK-EMS-Training gelten müssen. Relative Kontraindikationen sind Faktoren, welche ein solches Workout lediglich partiell an bestimmten Körperregionen ausschliessen oder nur nach vorheriger ärztlicher Abklärung erlauben. Zu den relativen Kontraindikationen zählen die folgenden Faktoren:

  • Akute Rückenbeschwerden ohne Diagnose
  • Akute Neuralgien, Bandscheibenvorfälle
  • Implantate, die älter als sechs Monate sind
  • Erkrankungen der inneren Organe, insb. der Nieren
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen
  • Bewegungskinetosen
  • Grössere Flüssigkeitsansammlungen im Körper, Ödeme
  • Offene Hautverletzungen, Wunden, Ekzeme, Verbrennungen
  • Entsprechende Medikamente

Die relativen Kontraindikationen lassen den Trainer/innen einen gewissen Interpretations- und Handlungsspielraum offen, was jedoch in der Trainingspraxis zu Unsicherheiten führen kann. Bei einer Betrachtung der relativen Kontraindikationen fällt auf, dass diese weit gefasst und teilweise wenig trennscharf formuliert sind. Die formelle Regelung von Kontraindikationen sollte keineswegs dazu führen, Kunden, für die GK-EMS-Training eine sinnvolle und gesundheitsfördernde Intervention darstellt, durch die Notwendigkeit einer ärztlichen Freigabe abzuschrecken.

Die Abfrage relativer Kontraindikationen dient dazu, akut vorliegende, gravierende Beeinträchtigungen der Gesundheit, die einen direkten Einfluss auf die Belastbarkeit des Trainierenden und/oder auf die Übungsauswahl haben können, zu erfassen. Erkrankungen oder Schmerzepisoden, die schon länger zurückliegen, stellen demnach keine akuten Beeinträchtigungen dar. Die Entscheidung, ob eine ärztliche Freigabe eingefordert wird oder nicht, hängt letztendlich von der Gesamtanamnese eines Kunden bzw. der Gesamtbeurteilung seines Gesundheitszustands und der Einschätzung seiner Belastbarkeit ab.

Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die relative Kontraindikation «akute Rückenbeschwerden ohne Diagnose» verwiesen. Laut Bundesärztekammer et al. (2017) geben 85 Prozent der Deutschen an, dass sie mindestens einmal in ihrem Leben bereits Rückenschmerzen hatten. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass lediglich 34 Prozent der befragten Frauen und 35 Prozent der Männer den Gang zum Arzt als Hilfsstrategie bei Rückenschmerzen wählen. Jedoch nutzen 74 Prozent der Frauen und 69 Prozent der Männer Bewegung als Intervention bei Rückenbeschwerden. Es ist anzunehmen, dass diese Zahlen auf die Schweiz und Österreich übertragbar sind. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass Neukunden «Rückenschmerzen» ohne ärztliche Diagnose angeben. Dieses Kriterium wird jedoch nicht näher differenziert. Ein Grossteil der Rückenschmerzen ist unspezifisch, d. h. ohne erkennbare Ursache. Ob solche Beschwerden nun zu einer Einstufung als relative Kontraindikation führen, hängt von der Schmerzintensität, der -häufigkeit und von den begleitenden Beeinträchtigungen im Alltag, Beruf sowie bei Freizeitaktivitäten ab (Funktionsstatus des Kunden). Liegen die Schmerzepisoden schon länger zurück, ist die akute Intensität nur gering oder verursachen die Rückenbeschwerden keine oder nur minimale Beeinträchtigungen (weitgehend normaler Funktionsstatus), so ist körperliche Aktivität respektive die GK-EMS-Applikation unbedenklich. Eine Einstufung als relative Kontraindikation wäre eine unnötige Dramatisierung der geringfügigen Beschwerden und in solchen Fällen unangemessen. Vor einem solchen Hochspielen unspezifischer Leiden warnt die Bundesärztekammer et al. (2017) explizit in ihren nationalen Versorgungsleitlinien zur Therapie nicht-spezifischer Rückenschmerzen.

Das Ziel der Anamnese sollte auf der einen Seite nicht darin bestehen, gesundheitliche Beeinträchtigungen mit geringer Ausprägung aufzubauschen, indem diese als relative Kontraindikation eingestuft werden und ein GK-EMS-Training nur nach ärztlicher Freigabe erfolgen darf. Auf der anderen Seite dürfen gesundheitliche Probleme aber auch nicht bagatellisiert werden, um eine ärztliche Freigabe zu umgehen. Bestehen auf Seiten der Trainer/innen Unsicherheiten hinsichtlich der Risikosituation, so sollte nach dem medizinischen Leitsatz «primum nil nocere» («zuallererst nicht schaden») sowohl zur eigenen Absicherung als auch zum Wohle der Kunden die ärztliche Freigabe zum Training eingeholt werden. Sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen jedoch so gering, dass sie keine Relevanz für das GK-EMS-Training haben und überwiegen in dem Risiko-Nutzen-Vergleich die gesundheitsprotektiven Vorteile, dann wäre es übertrieben vorsichtig und nicht zielführend, diese als relative Kontraindikationen einzustufen.

Fazit

Eine fundierte Abwägung zwischen eventuellen Risiken und gesundheitlichem Nutzen der GK-EMS-Applikation setzt natürlich voraus, dass die Trainer/innen aufgrund ihrer Kompetenzen in der Lage sind, solche Entscheidungen treffen zu können. Dieser Aspekt unterstreicht die Bedeutung und Notwendigkeit einer adäquaten Ausbildung/Qualifikation der Trainer/innen im GK-EMS-Training.

Auszug aus der Literaturliste

  • Eifler, C., Fröhlich, M. & Berger, J. (2017). Marktdurchdringung der Ganzkörper-EMS im deutschen Fitnessmarkt. In A. Schwirtz, F. Mess, Y. Demetriou & V. Senner (Hrsg.), Innovation & Technologie im Sport. 23. Sportwissenschaftlicher Hochschultag der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (S. 218). Hamburg. Feldhaus – Edition Czwalina.
  • Mooren, F. C., & Knapp, G. (2018). Diabetes Mellitus. In F. C. Mooren & C. D. Reimers (Hrsg.), Praxisbuch Sport in Prävention und Therapie (S. 93-120). München: Elsevier.
  • Teschler, M., Wassermann, A., Bebenek, M. et al. (2018). Short time effect of a single session of intense whole-body electromyostimulation on energy expenditure. A contribution to fat reduction? Applied Physiology, Nutrition and Metabolism, 43 (5), 528-530.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte

marketing@dhfpg-bsa.de.

Prof. Dr. Christoph Eifler

Prof. Dr. Christoph Eifler, Diplom-­Sportlehrer im Fachgebiet Präventions- und Rehabilitationssport, leitet den Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie den Fachbereich Fitnesstraining der BSA-Akademie.

www.dhfpg-bsa.de