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Körperliche Aktivität und Corona Mit Fitnesstraining gesund bleiben

Wenngleich mittlerweile zahlreiche Corona-Regeln gelockert werden, ist die Lage in Deutschland, Österreich und der Schweiz dennoch angespannt. Zwar dürfen Fitness- und Gesundheitscenter, die Gastronomie, Einkaufszentren etc. unter strengen Auflagen wieder öffnen. Das Coronavirus ist jedoch hochinfektiös, leicht übertragbar und es besteht weiterhin ein latentes Infektionsrisiko. Doch wie können wir selbst das Risiko einer Infektion senken und welchen Beitrag kann eine gute körperliche Fitness dabei leisten, um die Erkrankung im Falle einer Infektion bestmöglich bewältigen zu können?

Kann körperliche Aktivität das Infektionsrisiko senken?

Hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion scheint sich das COVID-19-Virus zu verbreiten. Beim Übertragungsweg macht das Virus keinen Unterschied zwischen körperlich aktiven Menschen und Bewegungsmuffeln. Allerdings führt regelmässiges körperliches Training dazu, dass die Funktionalität des Immunsystems verbessert wird (Baum & Liesen, 1998). Der Körper kann sich besser auf die Bewältigung einer Erkrankung einstellen. Bei einer COVID-19-Infektion bedeutet dies, dass das Immunsystem in der Lage sein muss, den Krankheitserreger effektiv zu eliminieren. Erste Untersuchungen dazu, wie das menschliche Immunsystem das neuartigen Coronavirus bewältigt, zeigen, dass es zu einem Anstieg der Antikörper produzierenden Zellen kommt. Ebenso wurde eine Zunahme sogenannter T-Zellen beobachtet, deren Aufgabe die Zerstörung aller Zellen ist, in denen sich die Viren vermehren (Thevarajan et al., 2020). Auch in Studien zuvor konnte gezeigt werden, dass gerade durch körperliches Training die Aktivität der T-Zellen gesteigert werden kann (Duggal, Pollock, Lazarus, Harridge & Lord, 2018). Regelmässiges Training und eine gute körperliche Leistungsfähigkeit scheinen somit für eine angemessene Immunreaktion des Körpers von wichtiger Bedeutung zu sein.

Wer sind die sogenannten Risikogruppen und warum?

Die Daten und Fakten zeigen, dass insbesondere ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ-2-Diabetes von schweren bis hin zu tödlichen Krankheitsverläufen betroffen sind. Die genauen Begründungen hierfür sind wissenschaftlich noch nicht geklärt. Dennoch scheint es so zu sein, dass das Immunsystem alter und/oder vorerkrankter Menschen nicht immer in der Lage ist, den Krankheitsprozess zu stoppen und die krankheitshemmenden T-Zellen ausreichend zu aktivieren (Bloch, Halle & Steinacker, 2020). Zwar kann man das kalendarische Alter als Risikofaktor nicht beeinflussen, jedoch trägt ein körperliches Training dazu bei, die Immunkompetenz des Körpers zu verbessern und Infektionen wirksam zu begegnen. Auch betagte Menschen und Personen mit Vorerkrankungen sollten deshalb nach medizinischer Abklärung zur regelmässigen Bewegung aktiviert werden (Hollstein, 2019).

Mindert Bewegung das Erkrankungsrisiko und einen frühzeitigen Tod?

Eine Vielzahl an Beobachtungsstudien belegt unabhängig von der Situation um das Coronavirus, dass körperlich aktive gegenüber inaktiven Personen ein deutlich reduziertes Risiko für die Entwicklung zahlreicher Erkrankungen und einen vorzeitigen Tod haben (Fiuza-Luces et al., 2018; Wen et al., 2011). Eine erste Risikoreduktion zeigt sich bereits durch den Einstieg in regelmässige Bewegung in kleinem Umfang. Bei höheren Umfängen im Sinne der Bewegungsempfehlungen der WHO von 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche fällt die Risikoreduktion noch deutlicher aus (Kraus et al., 2019). Dennoch sind die wenigsten Menschen in Deutschland ausreichend körperlich aktiv (Finger, Mensink, Lange & Manz, 2017; Krug et al., 2013). Ein Grund hierfür könnte sein, dass bei derart allgemeinen Empfehlungen Art, Umfang und Intensität einer Belastung unkonkret bleibt. Ausser der Erkenntnis «Ich müsste mich mal wieder bewegen» bleiben diese dann für den einzelnen Menschen wenig fassbar.

Durch Fitnesstraining körperlich leistungsfähiger und gesünder?

Ein Training in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen kann entsprechend wissenschaftlicher Vorgaben optimal und individuell gesteuert werden. Um die präventive Wirksamkeit eines Fitnesstrainings (3-mal pro Woche 45 Minuten) auf die körperliche Leistungsfähigkeit, ausgewählte Gesundheitsparameter und Zellalterungsprozesse zu überprüfen, wurden im Rahmen einer kontrollierten Trainingsstudie die Effekte eines Ausdauertrainings nach der Dauer- und der Intervallmethode sowie eines gerätegestützten Kraftausdauertrainings untersucht (Werner et al., 2019). Sowohl in den beiden Ausdauergruppen als auch beim Kraftausdauertraining zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit. Darüber hinaus kam es in allen drei Gruppen zu ähnlichen Verbesserungen im Risikoprofil bezüglich der Entwicklung von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Eine gute körperliche Fitness kann somit als wichtiger Schutzfaktor der Gesundheit angesehen werden.

Hält ein Fitnesstraining biologisch jung?

In der Studie von Werner et al. (2019) ergaben sich interessante Befunde insbesondere bei der Frage, inwiefern ein Fitnesstraining dazu beitragen kann, dass wir biologisch jung bleiben. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, warum wir eigentlich altern?

Damit sich Gewebe ständig erneuern kann, müssen sich Zellen teilen. In der Regel entstehen aus einer Zelle zwei Tochterzellen. Jede Zelle enthält einen Chromosomensatz, in dem die Erbinformation gespeichert ist. Diese Information muss geschützt werden, damit die ordnungsgemässe Funktion der Zelle erhalten bleibt. Diese Aufgabe übernehmen die sogenannten Telomere, die – vergleichbar mit den Schutzkappen an Schnürsenkeln – an den Enden der Chromosomen sitzen. Sie haben die Aufgabe, die Teilungshäufigkeit der Zelle zu regulieren. Mit jeder Zellteilung werden diese jedoch kürzer. Unterschreitet die Telomerlänge ein kritisches Minimum, kann sich die Zelle nicht mehr teilen. Das Gewebe kann dann nicht mehr regenerieren und die Zelle altert. Zwischen der Telomerlänge und der Lebenserwartung gibt einen Zusammenhang. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben kürzere Telomere. Je kürzer diese sind, desto schwerwiegender ist die Erkrankung. Ebenso haben ältere Menschen deutlich kürzere Telomere als jüngere. Ein Enzym, das diesen Prozess aufhalten kann, ist die Telomerase. Deren Aufgabe ist es, die Chromosomen zu stabilisieren und die Länge der Telomere zu erhalten. Fehlt die Telomerase, können sich Zellen nach einer gewissen Zeit nicht mehr teilen und müssen altern. Auch die Telomeraseaktivität reduziert sich mit zunehmendem Alter.

Es wurde daher untersucht, wie sich ein regelmässiges Fitnesstraining auf die Telomerlänge und die Telomeraseaktivität auswirkt. Die Studie konnte zeigen, dass regelmässiges Ausdauertraining zu einer Verlängerung der Telomere und zu einer Erhöhung der Telomeraseaktivität führt. Für das Kraftausdauertraining konnten diese Effekte nicht nachgewiesen werden. Allerdings kam es sowohl beim Ausdauer- als auch beim Krafttraining zur Bildung weiterer Schutzproteine, die einem Telomerabbau vorbeugen, was ebenfalls im Sinne eines Anti-Aging-Effekts zu deuten ist.

Die Studie liefert somit einen ersten Erklärungsansatz für den lebensverlängernden Effekt eines individuell gesteuerten Fitnesstrainings.

Einordnung der Befunde im Hinblick auf die Corona-Krise

Eine wichtige Basis für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung ist eine gute körperliche Fitness. Ausserdem ist sie ein wichtiger Schutzfaktor vor schwerwiegenden Verläufen bei Infektionserkrankungen (Bloch et al., 2020).

Zur auf politischer Bühne oft zitierten «neuen Normalität» sollte es daher unbedingt gehören, dass den Mitgliedern in Fitnesseinrichtungen möglichst schnell eine Rückkehr zu ihrem normalen Gesundheitstraining ermöglicht wird. Ebenso wäre es wünschenswert, dass die wichtige Schutzfunktion eines präventiven Ausdauer- und Krafttrainings als probates Mittel zur Krankheitsbewältigung stärker in medizinische Strategien einbezogen wird. Da davon auszugehen ist, dass uns die Corona-Pandemie noch eine Zeit lang beschäftigen wird, sollten auch bislang untrainierte Personen wie auch Personen mit Vorerkrankungen (nach einem medizinischen Check-up) körperlich aktiv werden, um bestmögliche Voraussetzungen für einen günstigen Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion zu schaffen. Hierzu ist es erforderlich, möglichst vielen Menschen ein fachgerecht angeleitetes Training zum Beispiel in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen zu bieten.

Fazit

Eines zeigt die gegenwärtige Corona-Krise nur zu deutlich: Der Bedarf an zielgerichteten körperlichen Aktivitäten zum Zwecke der Gesundheit ist quer durch die Bevölkerung riesig. Der Übergang zum Normalbetrieb in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen wird aber nicht von heute auf morgen erfolgen können. Um das Infektionsrisiko beim Training zu minimieren, werden noch eine ganze Zeit lang Verhaltensregeln festgelegt und Hygienevorkehrungen getroffen werden müssen. Analog zu anderen Lebensbereichen sollte die Einhaltung entsprechender Sicherheitsmassnahmen allerdings problemlos umzusetzen sein.

Bei allem Übel, das die gegenwärtige Situation mit sich bringt, bleibt zu hoffen, dass gerade durch die Corona-Krise das Vertrauen in die Fitnesseinrichtungen als wichtige Partner in Bezug auf die Gesundheit wächst.

Auszug aus der Literaturliste

  • Bloch, W., Halle, M. & Stein-acker, J. M. (2020). Sport in Zeiten von Corona. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 71 (4), 83–84. https://doi.org/10.5960/dzsm.2020.432
  • Kraus, W. E., Powell, K. E., Haskell, W. L., Janz, K. F., Campbell, W. W., Jakicic, J. M. et al. (2019). Physical Activity, All-Cause and Cardiovascular Mortality, and Cardiovascular Disease. Medicine & Science in Sports & Exercise, 51 (6), 1270–1281. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000001939
  • Thevarajan, I., Nguyen, T. H. O., Koutsakos, M., Druce, J., Caly, L., van de Sandt, C. E. et al. (2020). Breadth of concomitant immune responses prior to patient recovery: a case report of non-severe COVID-19. Nature Medicine, 26 (4), 453–455. https://doi.org/10.1038/s41591-020-0819-2
  • Werner, C. M., Hecksteden, A., Morsch, A., Zundler, J., Wegmann, M., Kratzsch, J. et al. (2019). Differential effects of endurance, interval, and resistance training on telomerase activity and telomere length in a randomized, controlled study. European heart journal. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy585

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Prof. Dr. Arne Morsch

Prof. Dr. Arne Morsch ist Fachbereichsleiter Gesundheitswissenschaft und Dozent der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG). Darüber hinaus leitet er den Fachbereich Gesundheitsförderung der BSA-Akademie.

www.dhfpg-bsa.de