Ich lese die FITNESS TRIBUNE!
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4. August 2018
Editorial Fitness Tribune – 176
6. Oktober 2018

Eine Woche mit Andreas Bredenkamp

Von Steve Schneider

Aufgrund seiner Artikelreihe habe ich Andreas Bredenkamp gleich für eine ganze Woche für „SCHNEIDER Gesundheit“ in Flamatt gebucht. Obwohl ich glaube, mit meiner Dienstleistung gut aufgestellt zu sein, mache auch ich mir über unsere Zukunft im Wettbewerb zu Discount und Internet Gedanken. Um einer „Betriebsblindheit“ vorzubeugen, bat ich Andreas, sechs Tage lang von aussen auf meine Prozesse zu schauen.  Gleich der erste Tag versetzte mich in einen leichten „Schockzustand“, ob all der Erkenntnisse. Ich bekam den Eindruck, als arbeite die ganze Branche seit Jahrzehnten an ihrem Untergang. Zumindest, wenn sie auf dem Kurs bliebe. Es fühlte sich an, wie es damals auf der Titanic gewesen sein musste, von der auch alle glaubten, sie sei unsinkbar. Obwohl der Kapitän um die Gefahr wusste, fuhr er mit Vollgas darauf zu. Von daher bin ich froh, dass ich die Tragweite nun erkannt habe. Es ist mir auch klar geworden, warum Andreas Bredenkamp mit seinen Ansichten oft so alleine dasteht. Auf seiner Schulung lernt man nicht, die Dinge, die man immer für richtig hielt, besser zu machen. Nein, es ist vielmehr, als habe man in seinem Unternehmen ein Krebsgeschwür mit all seinen Metastasen entdeckt. Es bedarf schon einer enormen Offenheit als Unternehmer, das alles wirklich wissen zu wollen und dann auch entsprechend zu handeln. Ich jedenfalls bedanke mich bei Andreas für die Woche, die er bei mir hier in Flamatt war und in der er mir die Möglichkeit gab, mein eigenes Geschäft einmal aus einer ganzen anderen Perspektive zu sehen. Ich habe in dieser Woche erkannt, wohin uns der eingeschlagene Weg führt und werde für „SCHNEIDER Gesundheit“ das Ruder herumreissen. Meine Erfahrungen aus der Woche möchte ich für die Leser der FITNESS TRIBUNE nun gern an zwei, drei ausgewählten Beispielen nachvollziehbar machen:

Professionalität darf auch Spass machen

Ich kann mich noch vage daran erinnern, wie es damals in dem Kraftkeller meines Vaters war, als ich ihn dort als kleiner Knirps ab und zu besuchte. Ich war zu jung, um irgendwelche Prozesse verstehen zu können, aber ich erinnere mich noch gut daran, wie es sich anfühlte und dass es Spass machte. Es herrschte Freizeitatmosphäre. Jeder kannte jeden, man half sich gegenseitig und motivierte sich beim Training. Und natürlich erinnere ich mich auch noch an den Geruch. Dieses Gemisch aus Schweiss und Tigerbalsam.

Ich wurde grösser, besuchte die Schule, absolvierte mehrere Lehren und übernahm schliesslich das Geschäft meiner Eltern. Ich hatte das Ziel, es immer weiter zu einem professionellen und rentablen Unternehmen auszubauen. Es erschien mir umso professioneller, je klarer und strukturierter alles ablief. Überall erarbeitete ich mit meinen Mitarbeitern zusammen Leitplanken und Regeln. Was dabei herauskam – so sehe ich es heute – war ein völlig steriles Gebilde, von dem ich aber überzeugt war, dass es gut sei. Nur irgendwie schaffte ich es nicht, in meinem professionell geführten Fitnessclub, den alten Spirit zu erhalten. Diesen „Jeder hilft jedem“-Charme, den ich im Club meines Vaters damals empfand, bekam ich trotz familiärer Teamführung einfach nicht hin. Ich fragte mich schon, ob ich Duftspender mit dem Geruch „Tigerbalsam“ installieren soll? Deswegen war die Atmosphäre auf der Trainingsfläche eines der wichtigsten Anliegen an die Woche mit Andreas Bredenkamp. Wir gingen gemeinsam auf die Trainingsfläche und Andreas überzeugte mich sofort, dass man der Kommunikation dort einfach nur nicht im Wege stehen darf. Stattdessen unterstützt man sie wo möglich, indem man die Menschen aktiv vernetzt. Er zeigte es an ein paar Beispielen und der Effekt war verblüffend.

Einer meiner Kunden, den Andreas einbezog, brachte es auf den Punkt. Er sagte:

„Bei SCHNEIDER ist alles perfekt. Betreuung auf hohem Niveau. Super! Beim Discounter ist das so natürlich nicht. Aber dafür helfen sich die Mitglieder gegenseitig. Da herrscht viel mehr Leben.“

Für mich fühlte es sich an wie eine Ohrfeige, aber nach kurzem Schock war ich dankbar für die Erkenntnis, die mein Kunde mir lieferte. Es erinnerte mich an ein Ereignis von vor ein paar Jahren, als ich mal wieder den Wunsch verspürte, im Nachbardorf aufs alljährliche Oktoberfest zu gehen. Organisiert wird es von Gleichaltrigen, die ich noch aus der Schule kannte. Sie haben ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und stellen heute meines Wissens in einem kleinen verträumten Ort das schweizweit grösste Oktoberfest auf die Beine. Sie haben sich zu einer beachtlichen Event-Firma entwickelt. Ich ging also hin und es war wie immer: Unglaublich voll, eine Mega-Stimmung, Party ohne Ende. An diesem Abend aber wollte ich nicht so richtig in Party-Stimmung kommen. Meine Gedanken hingen zu sehr an der Arbeit. Ich beobachtete das Treiben der Leute und bemerkte mit der Zeit, dass das ganze Chaos offensichtlich System hat. Als ich einen der Organisatoren sah, wie er da ruhig dem Treiben zusah, ging ich zu ihm hin und wir sprachen miteinander. Natürlich wollte ich gern mehr erfahren und es ergab sich ein langes und sehr spannendes Gespräch. Wir verzogen uns dazu in den hinteren Bereich, wo es etwas ruhiger war. Ich bemerkte, dass hinter den Kulissen gleich eine gänzlich andere Atmosphäre herrschte. Während vorne die Party dröhnte, spürte man im Hintergrund die Systematik. Es war erstaunlich zu sehen, auf welch professionellem Niveau das Chaos draussen organisiert war. Und noch erstaunlicher, dass sie es schafften, dass man von dieser Professionalität draussen absolut nichts spürte.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Professionalität darf Spass machen! Im Freizeitbereich soll sie Spass machen. Mir wurde klar, dass ich es geschafft hatte, mit meinem Verständnis von Professionalität, Organisation und Struktur auch den Spassfaktor gleich mit weg zu organisieren. Spass lässt sich nicht organisieren. Man kann als Trainer höchstens die Bedingungen dafür schaffen. Wenn ich mit vermeintlich perfekten Programmen und Eins-zu-eins-Betreuung versucht habe, einzelnen Kunden zum Ziel zu verhelfen, sie aber gleichzeitig in ihrem Programm isoliere, schaffe ich es, dass die Trainingsfläche voll ist, die Leute aber dennoch allein vor sich hintrainieren. Prof. Dr. Elke Zimmermann sagt, das Gehirn erlaube langfristig nur, was es gern tut. Deshalb ist professionelle Arbeit für mich ab jetzt, wenn das Training meinen Kunden vor allem erst einmal Spass macht.

Eine weitere Erkenntnis, die ich im Rahmen der Arbeit mit Andreas erlangen durfte, bezog sich auf die Wichtigkeit, die die Trainer der richtigen Bewegungsausführung beimessen. Andreas erzählte uns, er sei bereits während seines Grundstudiums mit Sondergenehmigung des Kultusministers Tutor von Professor Georg Kassat im Bereich der Biomechanik und Bewegungslehre gewesen. Er habe nach seinem Studium auch Professor Kassats Bücher „Biomechanik für Nicht-Biomechaniker“ und „Ereignis Bewegungslernen“ herausgegeben. Wenn er der Meinung gewesen wäre, er hätte auf der Biomechanik und der Bewegungslehre seine Karriere aufbauen können, hätte er dafür also die besten Voraussetzungen gehabt. Er habe sich aber aus strategischen Gründen dagegen entschieden. Und diese Gründe waren schon verblüffend. Er sagte, im Fitnesstraining würden die Kunden die Übungen nicht – wie beispielsweise im Turnen – der Übung wegen ausführen. Im Fitnesstraining sei die korrekte Ausführung der Übungen also nicht zielführend, sondern Mittel zum Zweck. Der Kunde muss die richtige Ausführung der Übung beherrschen als Voraussetzung für sein Training. Darüber hinaus seien die Übungen aber überhaupt nicht interessant. Eine Kniebeuge ausführen beispielsweise sei kein Training. Training beschreibe einen Entwicklungsprozess. Entscheidend für diesen Entwicklungsprozess sei nicht die Biomechanik und auch nicht die Bewegungslehre, sondern die Trainingslehre. Entsprechend habe er sich auch auf die Trainingslehre konzentriert und das empfehle er auch den Trainern.

Führt man sich dies in seiner ganzen Tragweite vor Augen, wird einem klar, dass wir Trainer achtgeben müssen, nicht in der eigenen Perfektion des Anleitens von Übungen und Schreiben von Trainingsplänen über kurz oder lang zu sterben.

Meine Schulung mit Andreas Bredenkamp war für mich eine der erkenntnisreichsten Zeiten seit langem. Vielen Dank dafür! Ich wünsche mir für die Branche, dass sich viele diesen Tatsachen öffnen und unseren grossartigen Beruf dahinführen, wo er hingehört: In den Alltag jedes Menschen! Auf dass wir gemeinsam darauf hinarbeiten, dass es eines Tages Wahrheit sein wird, mit 90 keinen Rollator zu brauchen.