Das erste BSA/DHfPG FITNESS & HEALTH CAMP
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Alter und neuen Box-Weltmeister Tefik Bajrami
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Eine Woche im Tiger Muay Thai Trainingscamp in Phuket:

Wie man mit einem italienischen Bären kämpft!

Seit meiner Übernahme der FITNESS TRIBUNE im September 2017 hatte ich zwar öfter mal ein paar verlängerte Wochenenden, aber so richtig Ferien machte ich keine seither. Nachdem die letzten Wochen und Monate ziemlich hektisch waren, hatte ich das grosse Bedürfnis, wieder einmal abschalten zu können, aber auch mal was Neues zu machen. Nur eine Woche am Strand rumliegen, das wollte ich nicht.

Seit meinem sechsten Lebensjahr mache ich Kampfsport (Karate). Die letzten Jahre hatte ich aber den Kampfsport ein wenig aus den Augen verloren und machte fast ausschliesslich Fitnesstraining.  Seit einem Jahr hat mich das Kampffieber wieder gepackt, nicht mehr Karate, sondern Thaiboxen und Boxen. Ich habe in der Kampfsportschule Bajrami in Luzern einen tollen Club gefunden.

Mein Trainer, Tefik Bajrami, ist immer noch aktiver Boxer. Er  bereitet sich schon seit längerem jeweils im Tiger Muay Thai Center in Phuket auf seine Kämpfe vor. Er hat mir von diesem tollen Trainingscamp vorgeschwärmt. Also, mit 48 Jahren, auf nach Thailand ins Trainingscamp!

In meiner aktiven Zeit als Karate-Ka habe ich sehr viele Kampfsportschulen gesehen, sowas wie dieses Tiger Muay Thai Center aber noch nie. Das Center ist riesig und erstreckt sich auf 10‘000 Quadratmeter. Es hat je eine riesige Trainingsfläche für Anfänger, Fortgeschrittene, Profi-Kämpfer, Fitness, Crossfit, MMA und die Thai-Box-Trainer haben auch ihre eigene Fläche. Vom Privattraining zum Gruppentraining ist alles zu haben.

Wenn man denkt, man sei Andi Hug, man sei 25 Jahre jung und man spreche gut Englisch, dann ist dies Selbstüberschätzung pur und man wird dafür bestraft. Eine meiner schlechteren Ideen war wohl, gleich nach der Ankunft ins Training zu gehen. Wenig Schlaf im Flugzeug, Jetlag und keine Akklimatisierung. Ich dachte mit einem Red Bull geht es leichter und so quälte ich mich also durch mein erstes Training, beim dem rund 50 Fighter aus vielen Orten der Welt mitmachten, darunter Amerikaner, Chinesen, Russen, Engländer, Holländer. Die meisten anderen Kämpfer waren viel jünger als ich, teilweise erst 20 Jahre alt. Ein paar Exoten ü40 hatte es aber auch. Als ich auf der grossen Uhr bemerkt, dass ich schon 50 Minuten vom Training überstanden hatte, „kotzte“ ich mich die letzten zehn Minuten so richtig aus und gab Vollgas.

Doch leider wollten die thailändischen Trainer nach 60 Minuten nicht mit dem Training aufhören. Und so wurde dieses Training zum härtesten meines Lebens. Nach rund 85 Minuten konnte ich nicht mehr. Ich hatte das Gefühl zu sterben und musste das Training total erschöpft abbrechen. Es verging sicher 30 Minuten bis ich mich wieder einigermassen erholt hatte. Ich stellte dann später fest, dass ich bei der Kommunikation beim Check-In etwas nicht richtig verstanden hatte: Im Tiger Muay Thai Center gingen die Gruppentrainings nie nur eine Stunde, sondern immer zwei Stunden.

Am ersten Abend hatte ich dann aber noch richtiges Glück. Als ich gemütlich nach dem Nachtessen noch beim Kaffee sass, rannten plötzlich Hunderte von Leute an mir vorbei und schrien. Es stank zudem ganz komisch. Was ist denn hier los? Da ich schon bezahlt hatte, konnte ich das Restaurant direkt verlassen. Ein Einkaufsladen, nur gerade mal 20 Meter von meinem Restaurant entfernt, stand in Flammen. Bis die thailändische Feuerwehr eintraf, vergingen über 45 Minuten. Am Schluss hatte sich das Feuer auch auf die Nachbarhäuser ausgebreitet. Mehrere Geschäfte, „mein“ Restaurant und ein grosses Hotel brannten schlussendlich lichterloh. Ob es Verletzte oder Tote gab, erfuhr ich nicht. Ich war nur froh, dass mein erster Tag vorbei war.

Die nächsten Tage verliefen ohne Spektakel und ich hatte mich langsam an die zwei Stunden Training gewohnt, man musste es sich halt einteilen. Zu schaffen machte mir aber die Hitze. Bei meiner Ankunft waren es rund 33 Grad. Gegen Mitte und Ende der Woche hatten wir teilweise 40 Grad.

Mein letztes Training am Abreisetag war dann aber wieder aufregend. Irgendwie hatte ich gar keine Lust mehr. Schliesslich bin ich kein aktiver Wettkämpfer mehr und ich hatte die letzten Tage so viel trainiert wie sonst in einem Monat. Aber gebucht ist gebucht, also auf zum letzten Training! Es war „Sparring“ angesagt (freier Kampf). Und da war doch einer, fast zwei Meter gross, sehr kräftig gebaut, ein paar Kilo zu viel, über 100 Kilo, Italiener, zirka 35 Jahre alt. Er war definitiv einmal ein Weltklasse-Thai-Boxer. Dies sah man sofort an seiner sehr exzellenten Technik. Ich nenne diesen Typen den „italienischen Bären“.

Beim Sparring sah ich, dass er seine Trainingspartner regelrecht auseinander nahm und alle irgendwann zu Boden gingen. Aus meiner Sicht schlug er viel zu hart zu, schliesslich waren wir beim Training und nicht beim Wettkampf. Leider stoppten ihn die thailändischen Trainer nicht. Im Gegenteil; sie fanden es sogar toll, wenn der grosse „Bär“ harte Treffer landen konnten.

Mein Wunsch bei diesem letzten Training war es, nur nicht gegen den „Bären“ kämpfen zu müssen. Ich hatte es bis jetzt geschafft, eine Woche verletzungsfrei zu trainieren und hatte keine Lust, mir jetzt noch etwas zu brechen. Ich schaute also beim Partnerwechsel, dass ich dem Italiener ausweichen konnte. Leider ging mein Wunsch nicht in Erfüllung. Einer der thailändischen Trainer wollte unbedingt, dass es zu einem Duell Schweiz gegen Italien kam.

Was mache ich jetzt? Wenn ich ihm voll auf den Kopf schlage, schlägt er voll zurück, Reaktion gleich Gegenreaktion und dann gibt es eine ziemlich harte Prügelei, Ausgang unklar, Vorteile sicher beim Italiener, schliesslich war er über zehn Zentimeter grösser und viel schwerer. Ich brauchte also einen Schlachtplan. Aus dieser Nummer komme ich nicht mit Gewalt, sondern nur mit Köpfchen raus, dachte ich mir.

Mein Schlachtplan war, zuerst für Verwirrung zu sorgen, um dann zu überraschen. Die Thaiboxer (übrigens Boxer auch) kämpfen immer mit der besseren Seiten vorne (meistens linkes Bein vorne, rechte Hand hinten). Ein Thaiboxer wechselt nie seine Seite. Auch im Training wird fast immer nur die bessere Seite trainiert. Als Karateka habe ich mir angewöhnt, immer beide Seiten zu trainieren und ich konnte auch beidseitig kämpfen. Also meine erste Taktik war, im Kampf permanent die Seite zu wechseln. Damit konnte ich den „Bär“ schon richtig verwirren, dies war er sich nicht gewohnt. Er schaute mich an, als wäre ich vom Mond.

Der „Bär“ war es gewohnt, dass wenn er mit seiner Grösse und seinem Gewicht, wie eine Dampfwalze auf den Gegner zukommt, dass alle seine Gegner zurückweichen. Keiner bleibt stehen, wenn ein über 100 Kilo schwerer Bär angreift! Also war mein zweite Taktik, genau das Gegenteil zu machen. Wenn der „Bär“ angreift, gehe ich nicht zurück, sondern gehe selber mit einem Konter nach vorne. Und zwar nicht irgend ein Konter, sondern meine Geheimwaffe aus alten Karatezeiten, ein Zuki (gerader Faustschlage mit der hinteren Hand) zum Bauch. Die vordere Hand bleibt beim Kopf, damit Nase und Zähne nichts abbekommen.

Liebe Leser, sie können es mir glauben: Es braucht eine riesen Überwindung, wenn ein angriffiger Bär mit Händen und Füssen schlagend auf sie zustürmt, nicht zurückzugehen, sondern selber nach vorne zu gehen. Doch es musste sein, es war meine einzige Chance.

Nachdem ich dem „Bären“ mit meiner Kampfstrategie mit der rechten Hand schon dreimal richtig hart in seinen Schwabelbauch geschlagen hatte, wechselte ich noch die Seite und machte das gleiche links. Der „Bär“ musste Luft holen, so hart hatte ich ihm mehrfach in den Bauch geschlagen. Er war sich diese Bauchschläge nicht gewohnt und noch weniger war er es gewohnt, dass man bei seinen Angriffen nicht zurückging, sondern nach vorne.

Nach dem sechsten Treffer fragte mich der „Bär“ auf Englisch: Ob es für mich okay sei, wenn wir den Rest des Sparring ganz locker kämpfen würden. Mir konnte es recht sein. Fazit: Ich hatte den „Bär“ gezähmt. Und so überstand ich auch mein letztes Training ohne Verletzungen und konnte mit vielen Erlebnissen die Heimreise antreten.