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7. Oktober 2020
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7. Oktober 2020

Digitale Selbstverteidigung

Teil 2

Im ersten Teil habe ich aufgezeigt, dass ein unbedachter Gebrauch des Smartphone uns so anfixen kann, dass es normal ist, dieses Kleingerät sogar während dem Krafttraining zu streicheln. Ich behaupte: Wir müssen smarter als das Smartphone sein. Sind wir es nicht, dann ist die Gefahr gross, dass wir ständig online sind. Das ist aber nicht modern, sondern bloss modernes Sklaventum. In diesem Teil geht es nun um den News-konsum.

Warum ist das wichtig? Weil es um Ihre Lebenszeit und Ihr Wohlbefinden geht. Früher wurden wir mit News anders versorgt. Die Zeitung in Papierform – einst der ultimative Newsversorger – erschien bloss täglich. In der Schweiz war die Tagesschau im TV um 19:30 Uhr das tägliche nationale Lagerfeuer. Schriftliches erreichte uns über den Briefkasten.

Alle diese Gefässe – und das ist wichtig – wurden bloss einmal täglich benutzt und danach war die Sache erledigt. Aber das ist Old School. Die Welt des New School, sie ist eine andere: Wie oft gehen Sie heute an Ihren medialen Briefkasten und checken Ihre Mails? Wie viele News-Apps «verseuchen» Ihr Handy und wie oft drücken Sie diese pro Tag? Ist Ihre Startseite auf dem Internet ein Newsportal? Was ist mit Facebook, Twitter, Instagram usw.?

Mit der invasiven Technologie sind wir einem Tsunami von Nachrichten ausgesetzt. Überall fluten Infos auf uns ein. Zig TV-Kanäle und News-Apps buhlen um unsere Gunst, Grossbildschirme in den Bahnhöfen und TV-Screens im Zug, als auch im Fitnesscenter versorgen uns ständig und überall mit News.

Früher war folgende Frage wichtig: Wie komme ich zu Informationen? Heute muss man aber anders fragen: Wie werde ich Informationen wieder los bzw. wie kann ich sie umgehen?

Eine der wertvollsten Ressourcen, die wir haben, ist unsere Aufmerksamkeit. Wenn Sie zum Beispiel bei einem Termin Ihr Handy ausschalten, dann machen Sie Ihrem Gegenüber ein grosses Kompliment. Sie signalisieren: Du bist mir wichtig! Meine AUFmerksamkeit ist voll für Dich da. Meine Sinne und nicht mein Handy ist auf Empfang eingestellt.

Man kann Aufmerksamkeit nicht an- und abschalten. Man kann sie nur lenken. Wenn Sie ein News- oder Social Media-Junkie sind, dann können Sie Ihre Aufmerksamkeit ständig auf Banales und Seichtes lenken. In der New-School-Zeit wird eben nicht mehr einmal täglich «upgedatet», sondern permanent. Allein diese Bemerkung sollte eigentlich ausreichen, um zu wissen, dass es auf der Welt gar nicht so viel Relevantes geben kann, welches für die Öffentlichkeit wichtig ist. Wenn wir uns als Insel vorstellen und unsere Aufmerksamkeit der Strand ist, dann branden mit den Newsportalen und Apps ständig Nachrichtenwellen auf den Strand. Sind wir ständig online, dann gibt es nur noch Flut. Wer digital unmündig ist, der wird somit in News ertrinken.

Alle News-Medien wollen unsere Gehirne hacken. Deshalb verkaufen Sie das Neue immer als das Relevante. Und sie wissen auch: Unsere Gehirne reagieren auf Schrilles und Abnormes mit Aufmerksamkeit. Deswegen wird oft irgendein Nonsens-Thema zum Aufreger des Tages hochgejazzt. So was bringt Spektakel und Quote. Information ist heute sehr schnell geworden, doch Klarheit braucht immer Zeit. Deswegen empfehle ich Ihnen für einen klugen Newskonsum eine Zeitung zu lesen, die nur wöchentlich einmal erscheint. Ein solches Medium krankt viel weniger an der Überdosis Sofortness, unter welcher die Daily-News-Medien leiden und dann Komplexes auf einen funkelnden Slogan reduzieren. Was viele immer wieder vergessen: Die Medien erzählen nicht die Wahrheit, sondern sie bieten eine Perspektive an. Oder haben Sie das Gefühl, dass ein Boulevardblatt wie Bild oder Blick über ein aktuelles Thema gleich schreiben werden, wie eine FAZ oder eine NZZ? Die vielzitierte Lügenpresse ist bei genauerem Hinsehen bloss eine Lückenpresse. Niemand hat die Exklusivrechte auf die Wahrheit.

Gehen Sie mit Daily-News sparsam um. Warum? Weil es fiese Zeitdiebe sind. Nehmen wir an, Sie konsumieren über TV, Zeitung, Apps und Internet täglich 1 Stunde News. Dann sind das pro Woche 7 Stunden und in einem Monat bereits 30 Stunden. Das ist mehr als ein ganzer Tag. Beachten Sie bitte die Skizze A. Nennen Sie in der Rubrik «News vom letzten Monat» die fünf wichtigsten News vom vergangenen Monat. Das Thema Corona ist von dieser Übung ausgenommen, schliesslich haben wir nicht jedes Jahr eine Pandemie. Wenn Sie «normal» ticken, dann werden Ihnen kaum fünf Dinge einfallen, die aber allesamt im Vormonat brandaktuell waren. Das sollte zu denken geben. Schliesslich haben Sie im Vormonat über einen Tag lang News konsumiert. Gehen Sie nun zur Rubrik «persönliche Highlights 2019». Schreiben Sie Ihre fünf grössten Ereignisse auf. Das kann eine Heirat, Geburt eines Kindes, ein neues Haus oder eine neue Arbeitsstelle sein. Diese Liste auszufüllen, sollte Ihnen leichtfallen. Wandern Sie nun zur Rubrik «News-Highlight 2019». Listen Sie fünf Kardinal-News auf, die auf allen News-Kanälen zeitgleich und über Wochen die Gehirne der News-Konsumenten bedienten. Viele sind auch nach längerem Nachdenken, nicht in der Lage, fünf Themen aufzulisten. Hier eine Auswahl: Brand der Notre-Dame, Ibiza-Affäre in Österreich, Beginn der Massendemonstrationen in Hongkong, Flugzeugabsturz in Äthiopien bei dem alle 157 Passagiere starben.

Stellen Sie sich nun folgende Frage: Hatte einer dieser tragischen Ereignisse oder jene, die Ihnen in den Sinn kamen eine Relevanz für Ihre persönlichen Highlights im Jahr 2019? Im Normalfall sind sie es nicht. Das sind Bad News für die Breaking News. Was in den Medien als hochrelevant aufgepimpt wird, ist für uns meist nur Lebenszeitdiebstahl. So weit, so schlimm. Aber es kommt noch schlimmer. In der hochnervösen Mediengesellschaft ist vieles nur noch Drama, Skandal oder Katastrophe. Dieser tägliche Vollalarm giftet aber unser Gehirn. Man erfährt von Massenvergewaltigungen in Indien, von Bestechungen und von Eltern, die ihre Kinder im Keller ständig einsperrten. Schon hat man wieder gute Gründe, Menschen die man vorher nicht kannte, abgrundtief zu hassen. Aber was ist der Gewinn, wenn wir uns immer wieder mit toxischen Gefühlen triggern lassen?

Gemäss der Neurowissenschaft ist das Hirnzentrum für positive Gefühle auf der anderen Seite als jenes für negative Gefühle. Beachten Sie bitte Skizze B. Wenn ca. 90 Prozent der News nur negativ sind, dann wird primär unser Negativzentrum täglich stimuliert. Das ist etwa so, als würden wir nur unseren rechten Bizeps trainieren und den linken kaum. Das würde niemand gut finden. Wenn wir uns also über News täglich mit toxischen Gefühlen giften, dann beeinflusst das über kurz oder lang unsere Grundstimmung. Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an. Das wusste bereits der römische Kaiser Marc Aurel.

Einspruch: Aber man muss doch wissen, was auf der Welt passiert. Abgelehnt: Was die Medien oft so pompös darbringen ist nur die Abweichung der Norm. Schrilles, Extravagantes, Bizarres – all das ist hocherotisch für die Daily-News-Anbieter. Je länger wir uns diesem Festival an Negativitäten aussetzen, desto mehr glaubt man plötzlich, die Abweichung von der Norm ist die neue Norm. Dann denkt man: Die Welt ist schlimm und grausam. Wut, Zorn und Dauer-Empörung haben dann ein ideales Biotop.

Wir wissen alle, dass vollwertige Ernährung wichtig für uns ist. Oft ist es leider so, dass Junkfood viel leichter zu bekommen ist, als wertvolle Nahrung. Dasselbe gilt für geistige Nahrung. Achten Sie auf das, was Sie an Ihr Gehirn lassen.

Bei digitalen News geht es um Achtung, aber noch mehr um Ächtung. Deswegen; geizen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit! Widerstehen Sie der News-Flut. Ruhe, Distanz, Gelassenheit – das alles können Sie nicht herunterladen. Das ist das Grundgesetz und dieses sollten wir nie vergessen. Je mehr Stille wir uns gönnen, desto leiser schreit die Welt. Stille ist die Geliebte von Gelassenheit. Diese Liebesbeziehung gilt es immer wieder zu stärken. Stille und Gelassenheit kann man in den Zeiten der digitalen Daueraufregung nur mit viel Disziplin erlangen, da prickelnde News immer nur einen Klick von uns entfernt sind. Aber dieses hirnbefreite Herumklicken ist ein Verbrechen an der eigenen Lebenszeit. Ist unsere Lebenszeit aber nicht das Kostbarste, das wir haben?

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch