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Digitale Selbstverteidigung – Teil 1

In dieser Kolumne geht es um mentales Gewichtheben.
Wahre Fitness trainiert beides, physische als auch psychologische Muskeln. Viel Spass beim neuronalen Schwitzen.

Teil 1

Damit kein Missverständnis aufkommt. Das ist keine Kriegserklärung an die Technologie. Keineswegs bin ich Anti-Digital. Wir alle nutzen Computer und Smartphones. Das ist gut so. Doch es ist eine Tatsache, dass diese Technologie unser Hirn so anfixen kann, dass sie wie selbstverständlich ständig im Leben dazu gehört. Aber das ist kein Gewinn, sondern eine selbstinitiierte Versklavung. Eine digitale Selbstdisziplin scheint zudem beim Menschen nicht angeboren zu sein. Anders ist das einarmige durch die Gegend Laufen nicht zu erklären. Dieser digitale Autismus gehört in jeder Stadt zum gängigen Strassenbild. In Sachen Technologie gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder regieren wir über die Technik oder sie regiert uns. Niemand kann Sie «retten», wenn Sie das nicht selbst tun. High Tech verlangt High Touch. Ja, das Phone soll smart sein, doch wir müssen smarter sein. Ansonsten nistet sich das Kleingerät überall in unser Leben ein. Beim Essen, Schlafen, beim Joggen, vor dem Sex, nach dem Sex, bei der Verkehrsampel und noch schlimmer, während dem Autofahren. Selbst auf dem WC, früher ein Ort der Ruhe und eine Bastion des vegetativen Nervensystems, wird das eigene Geschäft durch Handy-Aktivitäten begleitet.

Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Mitglieder sogar während dem Krafttraining an ihren Handys kleben. Wenn aber während dem Training der Daumen das aktivste Körperteil ist, dann ist damit nichts gewonnen. Für eine Hypertrophie des Daumenmuskel muss niemand in ein Fitnesscenter. Da stellt sich die Frage: Warum können viele ihr Handy selbst während einer Trainingsstunde nicht weglegen? Als Antwort biete ich Ihnen zwei Perspektiven an: Die erste ist freundlich und lautet: Simple Gewohnheit. Die zweite mag unfreundlich klingen, doch sie ist klar und deutlich: Sucht!

Die meisten von uns trainieren ja 2–3x pro Woche im Gym. Wenn ich es selbst dann nicht schaffe, ohne Handy unterwegs zu sein, dann ist Sucht kein unpassender Begriff mehr.

Ich weiss, es gilt als modern, wenn man selbst während dem Training ständig digital kommuniziert. Aber Hand aufs Herz! Kennen wir uns deshalb besser? Lernen wir dabei, uns auf andere zu beziehen? Die Texte auf den Social Media sind ja keine Dialoge, sondern bloss eine Aneinanderreihung von Statements. Da wird oft nur Überflüssiges flüssig gepostet.

Ich sehe in der digitalen Dauerablenkung während dem Training keinen Nutzen. Zwischen den Serien im Krafttraining kann ich auch sensibel diverse Körperparameter wie die Atmung, Haltung oder die eben erfolgte lokale muskuläre Ausbelastung beobachten. Ich kann aber einfach «nur» warten, bis der nächste Satz ansteht. Doch hier liegt die Krux. Der moderne Mensch ist nicht gut im Warten. Zwischen den Sätzen zu warten, um sich dabei zu erholen, empfinden viele als Stress und nicht als willkommene Pause. Viel lieber will man sich übers Handy bespassen und das Display streicheln. Es wirkt bizarr. Alle Menschen sehnen sich nach Zeit und Musse. Gleichzeitig tun viele aber alles dafür, sie aus dem eigenen Leben zu verscheuchen. Ich meine; nur ein schwaches Hirn muss sich ständig berieseln.

Deswegen; wer ständig online ist, der ist nicht modern, sondern ein moderner Sklave. Viel besser ist es, immer wieder offline zu sein. Genau das ist hohe Lebensqualität und ein Luxus, den wir uns REICHlich gönnen sollen. Fähige Menschen verfügen über Ihre Zeit. Nur Sklaven sind ständig erreichbar. Also: Handy off und Training an. Es geht um ein always Hirn, statt always on.

Wenn man mehr mit dem Smartphone beschäftigt ist, als mit den Menschen, die man liebt, dann sollte das zu denken geben. Wer in Panik gerät, weil der Akku leer sein könnte, der braucht keinen Strom, sondern digitale Entgiftung. Es ist kein Gewinn, wenn wir an Smartphones hängen, wie andere an Herzlungenmaschinen. Lassen Sie sich von Smartphones nicht anfixen und süchtig machen. Diese Kleingeräte erobern sehr schnell die Daueraufmerksamkeit der Benutzer. Das kann man bei Kindern und Jugendlichen sehr gut beobachten. Da die Impulshemmung im Gehirn erst mit ca. 20 Jahren ausreift, sind sie bei High Tech überfordert. Dazu braucht es strenge Eltern und dafür erhält man keinen Applaus.

Der Weg der digitalen Detox führt über Bewusstheit und über die freiwillige Limitierung. Ich habe zum Beispiel bewusst keinen E-Mail Zugriff auf meinem Handy. Die Geschäfts-Mails beim FC Thun schaue ich mir erst nach dem Morgentraining an, da ich meine Vorbereitung aufs Training nicht stören will. Nochmals, weil es so wichtig ist: Die individuelle Konfiguration mit der digitalen Welt müssen Sie selbst vornehmen. Jede Person muss sich da selber aufschlauen. Und was für andere passt, muss noch lange nicht für Sie passen.

Für alle gilt jedoch: Wir dürfen unser Gehirn nicht an solche Kleingeräte outsourcen. Wenn Sie also wieder ins Gym gehen oder irgendwo an einer Bushaltestelle oder in einer Warteschlange stehen, dann habe ich einen Tipp für Sie: Widerstreben Sie der Versuchung sogleich das Handy zu zücken. Das ist oft nur Flucht in die Sucht. Mit dem Handy können Sie überall anderswo sein. Aber nie sind Sie genau dort, wo Sie jetzt gerade sind. Meine Frage: Ist das wirklich ein Gewinn? Aber alle machen das doch so. Na und? Wenn alle verrückt sind, dann erscheint jeder normal. Normal heisst nicht gesund, sondern lediglich der Norm entsprechend. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will Sie keineswegs belehren. Ich will Ihnen bloss gedankliches Futter servieren, damit Sie Ihr eigenes Verhalten zur digitalen Welt  überprüfen. Viele Rituale schleichen sich oft gemächlich in unser Leben ein und sie zu brechen, ist dann oft sehr schwer. Bleiben wir also auf der Hut. Das Digitale ist sehr invasiv.

Weniger davon ist oft mehr. Ob im Job oder privat: Das wirklich Wichtige im Leben sagt man analog. Und es ist besser den Sonnenuntergang zu erleben, statt ihn zu fotografieren. Verzichten Sie auf Selfies. Selfies sind elektronische Masturbationen (Karl Lagerfeld). Meiden Sie auch Social Media. Diese Vergleichsbühnen müssen Sie sich nicht antun. Für ein gelungenes Leben braucht es keine Like-Duschen. Umgehen Sie Influencer. Das sind Werbeprostituierte, die sich ihren Haufen an Lemmingen suchen, welche sie beeinflussen sollen.

Seien Sie sehr sparsam mit Gratis-Apps. Wer von Gratiskultur spricht, der hat den digitalen Kapitalismus entweder gar nicht oder dann eben sehr gut verstanden (Anitra Eggler). Wenn es gratis ist, dann sind Sie das Produkt. Gratis heisst: Sie werden verkauft. Sie zahlen mit Ihren Daten. Es ist bemerkenswert, wie wir unsere Daten an Firmen verschenken, die damit massenhaft Geld verdienen. Daten sind heute das neue Öl. Das wissen die digitalen Grossmächte wie Apple, Amazon, Facebook und Google nur allzu gut, die unsere Daten über Gratisdienste geschickt absaugen.

Im zweiten Teil der digitalen Selbstverteidigung wird es um die Gefährlichkeit der digitalen News gehen. Auch da ist viel zu tun und noch mehr zu lassen.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch