Fitness 4.0 – Die Digitalisierung in der Fitnessbranche
6. Februar 2019
BranchenTag, Samstag, 18. Mai 2019 Kursaal Bern
6. Februar 2019

Die Zukunft der Einzelstudios

„2017 setzte die deutsche Fitnessbranche ihren Wachstumskurs fort.“ Laut Pressemitteilung der Unternehmensberatung Deloitte erreichte sie „mit einem Gesamtumsatz von 5,2 Milliarden Euro neue Spitzenwerte. […] Besonderen Auftrieb verzeichneten dabei vor allem die Formate Discountfitness und Mikrostudios, die im Wesentlichen von Ketten betrieben werden. Dadurch vollzog die Branche eine weitere Konsolidierung. […] Den mit 54 Prozent höchsten Anteil am Branchenumsatz haben jedoch unverändert die Einzelstudios. Mit minus 1,1 Prozentpunkten ist er jedoch leicht rückläufig.“

Die Branche boomt. Allerdings profitieren die Ketten, während die Einzelstudios Einbussen hinnehmen müssen. Wie ist diese Entwicklung zu werten? Stecken die Einzelstudios in einer vorübergehenden Krise oder sind die Zahlen von Deloitte Ausdruck einer Tendenz? Dann nämlich wäre es mit der grossen Zeit der Einzelstudios vorbei.

Nur noch wenige Studio-Betreiber glauben an eine vorübergehende Krise. Sie haben den Kampf gegen den Discount aufgenommen, indem sie auf Qualität als Differenzierungskriterium setzen. Sie glauben daran, dass Qualität sich letztlich durchsetzen wird. Allerdings steht Qualität im Verhältnis zum Preis und im Verhältnis zu den unschlagbar günstigen Preisen des Discounters ist dessen Qualität kaum zu toppen. Selbst wenn es den Einzelstudios gelänge, eine Qualität abzuliefern, die den Preisunterschied rechtfertigen würde, würde es ihnen schwer fallen, diese Qualität am Markt auch entsprechend zu kommunizieren. Deshalb glaube ich nicht, dass Qualität im Wettbewerb zum Discounter ein geeignetes Differenzierungskriterium sein wird.

Andere Betreiber versuchen, dem Wettbewerb mit dem Discount zuvorzukommen, indem sie selbst einen Discountmarkt im Einzugsbereich ihres Premiumclubs eröffnen, um den Ketten die Markteintrittsbarriere zu erhöhen. Wahrscheinlich aber wird der Markt für die Ketten damit eher noch interessanter werden. Discounter entwickeln keine Märkte, sie übernehmen den Markt – mit Vorliebe Märkte, die von Einzelunternehmern gut vorbereitet wurden. Sie positio-nieren sich den Einzel-Discountern direkt gegenüber und konfrontieren sie solange mit noch besseren Angeboten bei noch günstigerem Preis, bis diese aufgeben müssen. Deshalb hat die Mehrheit der Betreiber, vor allem in den Städten, den Kampf innerlich bereits aufgegeben. Sie bewerten die Rückläufigkeit der Einzelstudios nicht mehr als vorübergehende Krise, sondern als einen Trend, der nicht mehr zu stoppen sein wird. Sie spüren, dass sie höheren Aufwand nicht mehr betreiben für mehr Wachstum, sondern lediglich noch zur Abwendung von Verlusten. Und sie wissen, dass das ein untrügliches Zeichen ist für einen Konjunkturzyklus, der seinen Zenit überschritten hat.

In Zyklen denkt auch Jeff Bezos, wenn er im vergangenen Jahr die Welt mit seiner Aussage überraschte, Amazon werde untergehen. Der Zyklus eines Unternehmens wie Amazon, so Bezos, betrage realistisch 30+ Jahre und nicht etwa 100+ Jahre. Wendete man Wirtschafts-Zyklen auf die Einzelstudios an, gäbe auch diese Betrachtungsweise keinen Anlass zum Optimismus. Die von Kondratjew entdeckten Konjunkturzyklen werden mit einer Dauer von 40 bis 60 Jahren angegeben. Da das erste Einzelstudio 1955 eröffnet wurde, ist es vielleicht kein Zufall, dass die grosse Zeit der Einzelstudios auch für in Zyklen denkende Analysten vorüber ist.

Beendet werden Konjunkturzy-klen durch Innovationen, die Engpässe lösen und damit neue Zyklen auslösen. Dieser zyklische Verlauf ist bildlich mit einer Telefonzelle im Handyzeitalter zu beschreiben. Zuerst fühlt sich ein kleiner Ort schon ein wenig als Stadt, weil er mit der ersten Telefonzelle auf seinem Marktplatz Anschluss an die grosse, weite Welt gefunden hat. Zwar sind die Gespräche teuer, aber dennoch bilden sich Schlangen davor, sodass Privilegierte sich einen Anschluss nach Hause legen lassen. Für die steigende Zahl der Privatanschlüsse gibt es zu den Ferngesprächen nun auch Ortstarife und so entwickelt sich ein Geschäftsmodell für die fernmündliche Kommunikation. Erst die Handys als Innovation machen diesem Geschäftsmodell den Garaus. Denn welche Chancen hat in dieser sich dramatisch schnell verändernden Zeit noch die Telefonzelle? Soll sie versuchen, die Qualität der Verbindungen zu verbessern oder sollte sie lieber mit dem Preis runtergehen? Letztlich werden all diese Planspiele zwecklos sein, weil die Sprachqualität der Festnetz-Verbindung keine Rolle mehr spielt, sobald die Qualität über das Handy ausreichend ist und die Preise angemessen sind. Flexibilität schlägt Qualität. Deshalb ist mit der Innovation „Handy“ die Telefonzelle Geschichte.

Bezieht man das obige Beispiel eines Konjunkturverlaufs auf die Einzelstudios, wird deutlich, dass sich auch für sie alle Gespräche über Qualität oder Preismodelle an der Stelle erübrigen werden, an der eine Innovation das bestehende Modell überflüssig macht. Marktführer wie NOKIA, der das Smartphone nicht als Innovation erkannte und zu lange am Tastentelefon festhielt, oder KODAK, der das Patent für die digitale Fotografie in der Tasche hatte, aber die analoge Fotografie nicht aufgeben wollte, haben das zu spüren bekommen. Flexible Nutzung und einfache Handhabung bei ausreichend hoher Qualität schlägt jede Qualität, die nicht flexibel nutzbar und schwierig zu handhaben ist.

Vor allem in den Städten zeichnet sich bereits heute ab, dass die Zukunft geprägt sein wird von einigen wenigen Ketten, die mit ihren Logos die Fitness-Landschaft prägen werden, so wie wir uns in anderen Branchen längst an Namen statt Branchenbezeichnungen gewöhnt haben. McFit beispielsweise hat grosse Chancen, zu einem generischen Markennamen zu werden. Diese wenigen Grossanbieter werden ihren Kunden eine Flexibilität in der Nutzung von Trainingsmöglichkeiten bieten, neben der die Bindung an einen einzelnen Fitnessclub immer unattraktiver erscheinen wird. Dem Kunden werden mit einer Karte alle Filialen des Discounters zur Verfügung stehen. Noch flexibler wird er durch eine zusätzliche Online-Mitgliedschaft, die ihm weitere Türen öffnen wird. Auf Bahnreisen nutzt er das Fitness-abteil, über das die Deutsche Bahn bereits nachdenkt, und an Autobahnraststätten stellt man dem Kunden neben „Sanifair“ für die Gestaltung einer aktiven Pause auch noch ein „Bodyfair“ zur Verfügung. Im Urlaub bieten Campingplätze und Hotels Trainingsmöglichkeiten, während man zuhause direkt am Arbeitsplatz trainiert, vielleicht sogar während der Arbeitszeit. Selbst bei Krankheit unterstützen Ärzte und Therapeuten ihre Therapie durch Muskeltraining und last but not least geht Training auch immer besser „outdoor“ oder einfach gleich zuhause.

Durch das Internet wird die Nutzung von Trainingsmöglichkeiten noch flexibler werden. Apps werden die Kunden zu ihren Trainingsmöglichkeiten navigieren – „Suche McFit in der Nähe“ – ihr Trainingsprogramm und ihre Trainingsdokumentation finden sie online und voraussichtlich kommunizieren sie auch online mit ihrem Fitness-Coach. Wer möchte sich bei all diesen Möglichkeiten noch an einen einzelnen Fitnessclub binden, zumal für einen Beitrag, für den einem wie bei McFit das gesamte Angebot zur Verfügung stünde? Deshalb werden die Einzelstudios nicht an der Höhe ihrer Beiträge scheitern und auch nicht an mangelnder Qualität. Sie werden scheitern an der Starrheit ihres Geschäftsmodells. Das Problem von Immobilien ist ihre Immobilität und deshalb wird die langfristige Kundenbindung an einen einzelnen Club in Zukunft wirken wie die Telefonzelle auf dem Marktplatz, die im Handyzeitalter niemand mehr zur Kenntnis nimmt.

Wirklichkeit werden wird dieses Szenario in dem Moment, in dem die Branche die 15 Prozent-Marke knacken und damit eine Massenbewegung auslösen wird. Haben die Menschen erst einmal erkannt, dass die Muskelpflege so wichtig ist wie die tägliche Zahnpflege, wird es auf dem Fitnessmarkt einen erneuten Boom geben, der den alten noch in den Schatten stellen wird. Damit die Einzelstudios von diesem Boom optimal profitieren können, sollten sie es bis dahin geschafft haben, ihr Geschäftsmodell durch mehr Mobilität auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten. Gemeint ist damit, dass sie Kunden nicht nur in den Menschen sehen, die sich für eine Mitgliedschaft in ihrem Club entscheiden, sondern auch denen interessante Angebote unterbreiten können, die sich – aus welchen Gründen auch immer – entscheiden, woanders zu trainieren. 

Andreas Bredenkamp

Jahrgang 1959

Studierte Germanistik und Sport, Autor des Buches „Erfolgreich trainieren“ und des „Fitnessführerscheins“