Das basefit.ch in Wohlen und neue Abomodelle
3. Juni 2021
Digitalisierung als Erfolgsfaktor
3. Juni 2021

Der Weg durch die Krise wird schmerzhaft – aber unvermeidlich

Wie uns das Phasen-Modell der Trauerarbeit aus dem Lockdown hilft

Covid-19 ist plötzlich und unerwartet über die Welt hereingebrochen. Wie so viele andere derartige Ereignisse, zum Beispiel der viel zu frühe Tod eines geliebten Menschen, der unerwartete Verlust des Arbeitsplatzes oder die Diagnose einer tödlichen Erkrankung, folgt die Bewältigung auch dieser existenziellen Herausforderung den gleichen Trauer- bzw. Veränderungsphasen. Diese Phasen wurden von Elisabeth Kübler-Ross1) in ihren «Interviews mit Sterbenden» und von Martina Schmidt-Tanger2) für die Beschreibung und Bewältigung von Veränderungsprozessen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und ist Bestandteil vieler Change Management Prozesse in Unternehmen. Dieses «Phasenmodell der Veränderung» zeigt uns, wo wir gegenwärtig bei der Bewältigung der Corona Pandemie stehen, was uns noch bevorsteht und wie wir sie überwinden werden. Der Weg dahin ist jedoch naturgemäss schmerzhaft.

«Die Perle liegt hinter dem Schmerz verborgen», so sagte mir einst mein Lehrtherapeut. Der Benediktiner Pater und Management Coach Anselm Grün spricht davon, dass man zur Heilung einer Depression «durch sie hindurch» gehen muss3). Das muss man erst einmal akzeptieren. Vor allem für die Nachkriegsgeneration, die solche dramatischen Einschnitte in das Leben nur sehr selten erfahren müssen, die es gewohnt ist, dass es immer satt zu essen gibt, das Bruttosozialprodukt, die Löhne und die Anzahl der Trainierenden in Fitnessstudios kontinuierlich wachsen, ist es äusserst unangenehm, Niederlagen, Rückschläge und Schmerzen ertragen zu sollen/müssen. Die Denker, Weisen und Lebenserfahrenen wissen dies jedoch ebenso wie unsere Grosseltern, die die Zerstörung Europas durch den Zweiten Weltkrieg, die Hungersnot und die Existenznot unmittelbar miterlebt haben. Denen sollte man einmal zuhören, wenn wir die gegenwärtige Krise bewältigen wollen.

Alles beginnt mit einem Schock

Alle Veränderungsprozesse beginnen mit einem mehr oder weniger dramatischen Ereignis. Das kann im einfachen Fall eine Erkenntnis sein, wie sich die Welt oder der Markt entwickeln wird und uns zur Anpassung/Veränderung nötigt. Meistens ist es jedoch dramatischer, wie zum Beispiel die Dia-gnose einer tödlichen Erkrankung oder eben ein Virus, der uns in den Hausarrest zwingt. Unabhängig vom Ereignis laufen die nun folgenden Phasen mehr oder weniger gleich, jedoch in unterschiedlicher Intensität ab. Die aufeinanderfolgenden Phasen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die wahrgenommene Selbstwirksamkeit, unsere Motivation und unseren Energielevel, wie wir im Folgenden sehen werden.

Die erste Phase: der Schock

Wir alle haben es zu Beginn des Jahres 2020 erlebt. Was wie ein leichtes Donnergrollen im fernen China begann, war schon einige Wochen später als Tsunami bei uns spürbar. Ein tödliches Virus, für das es kein Gegenmittel gab, verbreitete sich in rasender Geschwindigkeit. Unser Leben musste sich angesichts der Ansteckungsgefahr sofort und drastisch ändern. Niemand hätte es für denkbar, geschweige denn möglich, gehalten, dass der grösste Teil unserer Wirtschaft heruntergefahren werden könnte, dass Fitnessstudios über Monate geschlossen bleiben, dass wir in den Hauarrest geschickt werden, Masken tragen müssen und der Staat unvorstellbar hohe Kredite aufnimmt, um die geschlossenen Betriebe zu unterstützen. In der ersten Phase, im ersten Lockdown, waren wir so geschockt, dass wir brav all das gemacht haben, was uns die Virologen und die Politiker aufgegeben haben. Wir haben unsere Selbststeuerung aufgegeben und dem Staat überlassen.

Die zweite Phase: Leugnung und Widerstand

Je länger die Einschränkungen dauerten umso mehr regte sich Widerstand. Viele leugneten (bis heute) die Existenz des Virus, vermuteten eine «Verschwörung» des Staates oder einiger reicher Industrieller, die Menschheit zu unterjochen, Ihnen über eine Impfung Mikrochips einzupflanzen, um uns zu steuern. Immer mehr Bürger hielten es nicht mehr aus, viele verloren ihren Arbeitsplatz, 20 Prozent Mitgliederschwund in den Studios, viele Betriebe wurden geschlossen. In dieser Phase demonstrierten Ultrarechte, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker, natürlich ohne Abstand und Maske (das Virus existiert ja nicht).

Das Phasenmodell der Veränderung nach Martina Schmidt-Tanger

Der Rest der Welt hoffte auf den Impfstoff, der in rasender Geschwindigkeit entwickelt wurde, ohne die erforderliche Zeit, die Nebenwirkungen zu beobachten. Mehrere Impfstoffe wurden entwickelt und zugelassen. Dennoch dauerte es zu lange, die Logistik war holprig, und manche Länder (Russland und China) benutzten ihren Impfstoff, um ihren Einfluss auf die Welt zu steigern. Sie lieferten kostenlos hunderttausende Dosen in Schwellen- und Dritte Welt Länder, die von strategischer Bedeutung waren.

Die überwiegende Meinung war, dass wir das Virus bald besiegt haben und alles wieder so wird «wie früher». Aber immer neue Varianten tauchten auf, der Wettlauf zwischen Hase und Igel begann. In dieser Phase begannen aber die ersten Unternehmen kreativ zu werden und Chancen der Krise auszuloten. Sie sind als Erste in die dritte Phase des Veränderungsprozesses eingestiegen.

Die dritte Phase: Einsicht und Akzeptanz

Zum Zeitpunkt, da dieser Artikel geschrieben wurde (April 2021) herrscht trotz der durch die neuen Corona Varianten schlimmer werdenden «Dritten Welle» noch immer die Hoffnung vor, dass das Virus überwunden werden kann. Doch es ist schon lange nicht mehr dasselbe Virus, es erfindet sich immer wieder neu, deshalb beginnen immer mehr Menschen zu akzeptieren, dass wir gegen das Virus nicht durch einen Kampf gewinnen können, sondern nur durch ein grundlegend anderes Verhalten, denn:

«Es ist besser, den kurzen Schmerz der Wahrheit zu erleben als den dauerhaften Schmerz der Hoffnung.»

Jede gelungene Trauerarbeit, jeder gelungene Veränderungsprozess, muss durch die nun folgende, schwierigste Phase gehen, die der Einsicht und Akzeptanz. Wir müssen einsehen, dass es, zumindest kein kurzfristiges Entrinnen vor dem Virus gibt. Wir müssen akzeptieren, dass es kein «wie früher» mehr geben wird. Die Welt, die Menschen und Fitnessstudios werden nie wieder so sein, wie sie vor dem Ausbruch der Pandemie waren.

Auch wenn die Menschheit schon mehrere Pandemien (Pest, Cholera, spanische Grippe) durchlebt und bewältigt hat, übrigens weitgehend ohne Pharmaunterstützung, haben wir es heute mit einer ganz anderen Qualität von Problemen und Herausforderungen zu tun. Ebenso wie der Klimawandel ist die Verbreitung von Viren eine Reaktion der Natur auf das globale Verhalten der Menschen. Was haben wir denn erwartet, als wir hemmungslos CO2 in die Atmosphäre geblasen haben durch das Verbrennen von Holz, Öl und Gas, als wir die tropischen Regenwälder abgebrannt haben, um Soja anzubauen, um die Massentierhaltung in den Hühner- und Schweineställen sicher zu stellen und Rindern Raum zu geben für unsere täglichen Hamburger und Steaks? Was haben wir erwartet, als wir uns unsere Autos anschafften, um «freie Fahrt für freie Bürger» zu leben, als wir unsere Vorgärten versiegelten, weil es bequemer ist als Rasen zu mähen und Blumen wachsen zu lassen, die Bienen, Hummeln und Schmetterlinge so dringend benötigen? Was denken wir uns eigentlich, wieviel Bevölkerungswachstum der Planet Erde noch verträgt? Was glauben wir, wie die Natur reagiert, wenn wir schon nach fünf Monaten eines Jahres die gesamte Regenerationsressource eines ganzen Jahres verbraucht haben?

Ebenso wie wir die globale Erwärmung nicht mehr zurückschrauben, allenfalls ein wenig aufhalten können, werden wir das Virus, die Reaktionen der Natur auf einen eingeschränkten Lebensraum seiner ursprünglichen Wirte, nicht besiegen. Wir müssen das akzeptieren und einsehen, dass wir uns grundlegend anders verhalten müssen.

Das ist das «tiefe Tal der Tränen», durch das jeder Trauernde, jeder Teilnehmer an grundlegenden Veränderungsprozessen in der Gesellschaft und unseren Unternehmen gehen muss. Und je schneller wir dies anerkennen, umso eher kommen wir wieder heraus. «Hinter dem Schmerz liegt die Perle verborgen». Was für seelische Probleme gilt, gilt auch für diese Erkenntnis.

Die Anerkenntnis, dass wir uns grundlegend ändern müssen, dass es nie wieder so sein wird wie früher, verschafft uns psychologisch den Freiraum, den wir benötigen, um uns für neue Wege öffnen zu können. Ebenso wie unsere Grosseltern nach dem zweiten Weltkrieg akzeptieren mussten, dass alles zerstört war, dass alles, was sie bis dato geglaubt hatten, nicht mehr stimmt, und dass gerade dadurch etwas so Grossartiges wie eine weitgehend demokratische Welt, ein vereintes Europa und die Vereinten Nationen geschaffen werden konnten, müssen wir akzeptieren, dass wir uns grundsätzlich anders verhalten müssen, wenn wir uns selbst, unsere Kinder und Kindeskinder retten wollen. Mit der Natur kann man nicht diskutieren, Kompromisse schliessen, sie hat, ebenso wie das Virus, keine Moral, kennt keine «Impfprioritäten» oder «wirtschaftlichen Zwänge». Ihr ist es egal, ob wir zugrunde gehen oder nicht.

Ich befürchte, dass wir auch zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Artikel erscheint, immer noch nicht so weit in unserem Erkenntnisprozess sind. Wenn wir aber so weit sind, dann benötigen wir dringend Menschen, die uns zeigen, was das neue Verhalten ist, die uns neue Wege aufzeigen, die uns vertrauensvoll führen, mit einer neuen Ethik, die nicht auf Isolation und Egoismus basiert sondern auf Gemeinschaft und Kooperation, auf Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit. Und auch wenn wir uns das heute noch nicht vorstellen können, wir werden uns, ebenso wie unsere Grosseltern, neu aufstellen, neu und anders leben, vielleicht nicht mehr mit acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten, vielleicht nicht mit einem Auto pro Person in der Garage und vielleicht nur mit einem Lammbraten zu Ostern als einzige Fleischmahlzeit im Jahr. Ich weiss zurzeit auch nicht, wie wir leben werden, aber ich freue mich auf viele neue Erfahrungen, Begegnungen und Erlebnisse.

Und wenn wir mutig genug sind, die ersten Schritte zu gehen, bewegen wir uns in:

Die vierte Phase: Ausprobieren

Erinnern wir uns daran, wie wir das Autofahren erlernt haben. Wie unsicher waren wir? Wie Schulterblick, Kuppeln, Schalten, Bremsen, der Gegenverkehr, die Ampeln, Verkehrszeichen, Fussgänger und Radfahrer unsere gesamte Aufmerksamkeit erforderten, und wie wir nach der ersten Fahrstunde Schweiss überströmt endlich aussteigen konnten. Und wie es nach jeder Fahrstunde einfacher wurde, wir plötzlich Spass am Fahren bekamen, wie unsere Selbstwirksamkeit stieg, wie wir das Seitenfenster herunterlassen konnten und den Fahrtwind genossen. Und wie wir heute ohne Probleme während der Fahrt telefonieren können und ein Getränk zu uns nehmen.

Wie haben wir das gelernt? Indem wir lernen wollten/mussten, indem wir eine Vision hatten (Freiheit) und indem wir den Anweisungen und Ratschlägen eines geduldigen Lehrers gefolgt sind. Suchen und folgen wir solchen geduldigen Lehrern und vertrauen uns ihnen an, so lange bis wir selber wieder neu Laufen gelernt haben. Denn dann folgt auf das Ausprobieren die letzte Phase:

Die fünfte Phase: Integration

Das, was sich viele ersehnen, dass es «so wird wie früher», ist in dieser fünften Phase erreicht. Allerdings nicht so, wie wir uns das gedacht haben. Es ist so selbstverständlich und leicht wie früher, nur anders. Wir haben erkannt und uns neu erfunden, wir haben ausprobiert, verworfen, wieder ausprobiert und das Beste für uns, unsere Kinder, das Land, die Gesellschaft und die Natur gefunden, lieben und schätzen gelernt. Und wir können uns gar nicht mehr vorstellen, anders zu leben. Wir können uns auch nicht mehr vorstellen, wie wir damals, vor Corona, gelebt haben, in stinkende Auspuffe geatmet, genmanipuliertes Obst und Getreide zu uns genommen und durch Wachstumsbeschleuniger und Hormone gemästete Schweine und Rinder gegessen haben. Wie wir unökonomisch tonnenweise Pflanzen angebaut und sie den Tieren zu Fressen gegeben haben, nur um dann wiederum diese Tiere zu essen. Wie wir in dieser Taucherglocke von Atmosphäre alles darangesetzt haben, den Sauerstoff zu verbrauchen und stattdessen Giftstoffe einzuleiten und einzuatmen. Was haben wir nur mit unserem Grosshirn angestellt, um das überhaupt zuzulassen? Gut, dass wir nun schlauer geworden sind. Ja, es hat Opfer gegeben, ja es war nicht einfach, aber es hat sich gelohnt. Wir, unsere Kinder und unsere Welt sind gerettet, das Virus ist wieder da, von wo wir es vertrieben haben und lebt in Synergie mit Fledermäusen und Affen und kann uns in Ruhe lassen, weil es wieder genug davon gibt.

Liebe Leser der FITNESS TRIBUNE, ich weiss, das oben Geschriebene ist harter Stoff, dem (noch) nicht jeder zustimmt. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass es in der «neuen Welt» für die Fitnessbranche nicht nur eine Überlebenschance gibt, sondern das körperliches Training so selbstverständlich sein wird wie Zähneputzen. Weil die Menschheit dazu gelernt hat und zu der Erkenntnis gekommen ist, dass Muskeltraining, gesunde Ernährung und die Fähigkeit, seinen Geist sinnvoll einzusetzen, existenziell ist und uns einerseits vom Tierreich unterscheidet, wir uns andererseits aber auch demütig in die Natur integrieren, anstatt sie zu beherrschen versuchen und zu zerstören. Lasst uns nun alles daran setzen und kreativ unsere Branche mit neuen Ideen weiter bringen, damit wir nicht nur überleben sondern daraus wachsen können.

Quellen

  1. KÜBLER-ROSS, E. «Interviews mit Sterbenden», Herder Verlag (2014)
  2. SCHMIDT-TANGER, M. «Veränderungscoaching», CCC Public (2011)
  3. GRÜN, A. «»Wege durch die Depression», Herder Verlag (2016)

Wolfgang Bahne

Diplom Psychologe/Diplom Betriebswirt

Nach einer Karriere im Hochleistungssport als Athlet und Bundestrainer, gründete, führte und verkaufte Wolfgang Bahne eigene Fitnessstudios, war an diversen Fitnessanlagen beteiligt und arbeitete u. a. im strategischen Marketing von JK-Ergoline. Sein Weg führte ihn auch in die Schweiz, wo er viele Jahre mit Edy Paul (G&P) zusammenarbeitete. In den letzten Jahren baute er die deutsche Filiale einer schwedischen Fitnesskette in Deutschland auf und verantwortete zum Schluss die Expansion des Unternehmens. Zurzeit ist er als Dozent an der Berufsakademie für Fitness und Gesundheit und als Unternehmensberater und Coach tätig.

wolfgang.bahne@gmx.net