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Auf dem Behandlungsstuhl mit der Migros

Normalerweise wirbt die Migros mit Produkten des täglichen Bedarfs. Nun bietet die Migros auch Psychotherapie und Coaching an. Auf der neuen Online-Plattform «WePractice» möchte die Detailhändlerin neue Kunden ansprechen. Allerdings ist dies nicht auf den ersten Blick ersichtlich, erst in der Fusszeile ist von einer Firma namens «Migros Digital Solutions AG» zu lesen. Die Idee hinter dieser neuen Plattform: Wer psychische Probleme hat, soll möglichst rasch einen Termin mit einem geeigneten Psychologen finden, entweder vor Ort oder per Videochat.

WePractice wird von einem jungen Schweizer Startup namens Sparrow Ventures betrieben. Die Migros hat diese Firma 2018 gegründet um Start-ups zu entwickeln, damit sie auf neue Trends schnell reagieren kann. Das Ziel von «WePractice» ist, das mentale Wohlbefinden der Schweizer Bevölkerung zu stärken. Um dies zu erreichen, stellt die Plattform Therapeuten und ihren Kunden eine digitale Plattform zur Verfügung. Diese hilft den Therapeuten, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: ihre Kunden. Den Kunden wiederum wird geholfen, eine geeignete psychotherapeutische Beratung zu finden, da nur ein optimaler Match zu Erfolg führt.

Gestartet als reine Online-Plattform, ohne dass die Migros dies aktiv kommuniziert hatte, haben die Verantwortlichen im Frühling 2020 festgestellt, dass das mentale Wohlbefinden ein Thema ist, welches in Zeiten von Covid-19 weiterhin an Bedeutung gewinnen wird. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde nun Anfangs März in Zürich eine eigene Co-Working-Gemeinschaftspraxis eröffnet. Die Sitzungszimmer können von den teilnehmenden, selbständigen Psychologen gebucht werden. Auf der Webseite steht, dass sich das Angebot zu Beginn auf den Grossraum Zürich begrenzt aber schon bald auf das ganze Land ausgeweitet werden soll.

Fabrice Zumbrunnen gibt Gas bei der weiteren Expansion im Bereich Gesundheit!

Nebst den Apotheken und Medbase-Arztzentren ist mit «WePractice» ganz klar ein weiterer Schritt weg vom Kerngeschäft des Supermarktes zu erkennen. Fabrice Zumbrunnen, seit 2018 oberster Migros-Chef, setzt seit seinem Amtsantritt den Fokus klar auf das Wachstum im Gesundheitswesen. Bereits ab 2014 hat er in seiner Rolle als Chef des Departements «HR, Kulturelles & Soziales, Freizeit» dieses Wachstum vorangetrieben. Mit der Online-Apotheke Zur Rose besteht eine strategische Partnerschaft, in grösseren Supermärkten ist die Apotheke mit eigenen Filialen präsent. Die Medbase-Kette der Migros zählt inzwischen je rund 50 Standorte mit Apotheken und Arztpraxen, zwei Operationszentren in Spitälern und natürlich nicht zu vergessen, die über 140 Fitnesscenter, die zur Migros gehören.

Allerdings äussert der Branchenverband, die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, einige Kritik darüber, dass ein Grossverteiler auf diese Weise im Gesundheitsmarkt mitmischen will. Grundsätzlich sei zwar festzuhalten, dass eine solche Vermittlungsplattform sinnvoll sei, da sie für Hilfesuchende Hürden abbaut, einen Therapieplatz zu finden. Andererseits könnten die Online-Profile der Therapeuten keine Aussage über die Qualität der Behandlung machen. Ein Blick auf die Profile der «WePractice»-Psychologen zeigt, dass nicht jeder über die Anerkennung des grössten Berufsverbandes, der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP), verfügt, sondern teilweise einen breiten Mix an Weiterbildungsdiplomen zu unterschiedlichen Themen auflistet. Auch gewisse Formulierungen auf der Webseite werden vom Verband als problematisch eingestuft, da diese suggerieren könnten, dass jegliches Unwohlsein oder Stimmungstief behandlungsbedürftig sei.

Auf diese Kritik entgegnet die Migros-Tochter Sparrow Ventures, dass die Plattform die reine Vermittlung und die Zurverfügungstellung der Praxis als Funktion hat. In den Austausch zwischen Patienten und Therapeuten sei man in keinster Weise involviert. WePractice sei nicht nur für erkrankte Personen gedacht, sondern auch für Kunden, die persönliche Herausforderungen in ihrem Leben angehen möchten. Deshalb sind auf der Webseite nicht nur Therapeuten, sondern auch Lebensberater, sogenannte «Life Coaches» aufgeführt. Das Ziel sei die Verbesserung und Stärkung der mentalen Gesundheit. Zudem bietet die Plattform die Möglichkeit eines Kennenlerngespräches zwischen Kunde und Therapeut um sich in einem 15-Minütigen Gespräch kennen zu lernen und herauszufinden, ob es passt. Falls nicht, kann man sich aus den Suchresultaten einen anderen Therapeuten wählen und erneut ein Kennenlerngespräch buchen.

www.wepractice.ch