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Andreas Bredenkamp Kolumne: Können Einzelstudios zukünftig überleben? Teil VI

Einzelstudios, die in ihrer Geräteausstattung einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil sahen, sehen sich enttäuscht. Die Discounter rüsten fleissig auf. Auch bei ihnen steht inzwischen, was an elektronischen Geräten gut und teuer ist. Wahrscheinlich wird die Ernüchterung noch grösser werden, wenn den Geräten schon bald die Trainer folgen. Im schlimmsten Fall die eigenen. Denn ohne dass es die Einzelstudios so richtig wahrgenommen haben, ist auch ihre „Kernkompetenz: Trainingsbetreuung“ längst integrierter Bestandteil im Leistungsangebot des Discounters geworden. Und spätestens mit der vergleichbar guten Trainingsbetreuung erkennt der Kunde den Unterschied zwischen Discount und Einzelstudio gar nicht mehr. Damit wird das Einzelstudio zur Teilmenge des Discounters. Denn alles, was das Einzelstudio kann, kann der Discounter jetzt auch, aber er kann noch mehr, und er kann alles billiger (vgl. dazu den „Selbsttest beim Discounter“ von Roger Gestach im 5. Teil meiner Artikelreihe).

Wenn ich von aussen auf diese Situation schaue, empfinde ich Bedauern. Schliesslich waren es die Einzelstudios, die für den Fitnessmarkt die Infrastruktur schufen. Ihre Strassen sind es, auf denen heute alles rollt. Und nun sind gerade sie auf dem besten Wege, sich diesen Markt entreissen zu lassen, weil ihnen der Mut fehlt, alte Strategien, mit denen sie in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich waren, loszulassen für etwas wirklich Neues.

Mit „Neu“ meine ich keine neuen Absatzstrategien. Wo Differenzierung das Problem ist, bedarf es keines neuen Marketings, sondern einer neuen Produktstrategie. Ein Beispiel dafür ist SAP. War es für Software-Häuser früher üblich, ihren Firmen-Kunden für ihre Arbeitsprozesse die Software zu schreiben, schrieb SAP ihren Kunden den Arbeitsprozess und entwickelte dafür die Software. Nur eine kleine Veränderung in der Herangehensweise, mit der sich SAP einen Weltmarkt erschloss. Die Veränderungen im Unternehmen sind allerdings drastisch. Eine neue Produktstrategie stellt oft alles auf den Kopf. Eventuell muss das Unternehmen einen völligen Neustart riskieren. Dazu ist nur bereit, wer erkennt, dass er andernfalls unterliegen wird. Und genau danach sieht es für die Einzelstudios aus. Die Waffen im Wettbewerb zu Internet und Discount sind so ungleich verteilt, dass man diesen „Wettbewerb nur gewinnt, indem man ihn verlässt“ (Hans-Jürgen Hartauer).

Den Wettbewerb verlassen, sich neu aufstellen, und dort wieder einsteigen, wo man ihn auch gewinnen kann. Wer das für eine gute Idee hält, der nimmt den Druck am besten dort heraus, wo er entsteht, und zwar in der Bereitstellung von Geräten. Früher nämlich erzielten die Einzelstudios aus der Bereitstellung der Geräte ihre Haupteinnahmen, während sie ihre Kompetenzen hergaben, als handele es sich dabei um ein Give-away. Warum sollten sie es nicht auf den Kopf stellen, indem sie ihre Geräte hergeben, als seien sie das Give-away, und ihre Einnahmen generieren aus ihren Kompetenzen? Denn auf dem Kompetenzmarkt kann das Einzelstudio alles, was der Discount auch kann, aber es kann noch mehr, und es kann alles besser. (Siehe Abb.)

An Trainingsgeräten trainieren werden die Menschen in Zukunft überall können. Sie können beim Discounter trainieren, zuhause oder auf der Arbeit, unter Umständen sogar während der Arbeitszeit. Bleiben wird das Problem, dass sie es nicht tun. Und genau darin liegt für die Einzelstudios die Chance. Bei seiner Eröffnungsrede zum INLINE-Kongress 2018 sagte Stephan Pfitzenmeier, die Fitnessbranche habe eine Marktdurchdringung von etwas mehr als 12 Prozent erreicht. Für eine Massenbewegung hielten Wirtschaftsexperten jedoch 15 Prozent für erforderlich. Gemessen an dem, was kommt, trainieren also noch nicht viele Menschen, sondern es geht gerade erst los. Waren es vor 35 Jahren in einer einzigen Stadt vielleicht ein paar hundert Menschen, die sich für das Thema „Muskeltraining“ interessierten, sind es heute bereits Tausende und es werden schon sehr bald Zehntausende sein. Das lässt sich vorhersagen, weil über 90 Prozent der Menschen noch gar nicht realisiert haben, dass wir dank unserer medizinischen Versorgung eine potentielle Lebenserwartung erreicht haben, für die unsere Muskeln gar nicht ausgelegt sind. Nicht jedenfalls ohne die entsprechende Pflege. Für die Zahnpflege ist das lange erkannt. Die Lebensdauer unserer Zähne läge ohne zahnmedizinische Vorsorge und Zahnplege nur bei ca. 40 Jahren. Dass die „Muskelpflege“ unter Umständen jedoch noch viel wichtiger ist, wissen die Menschen noch lange nicht. Die 30jährigen haben heute schon nicht die Kraft, die sie mit 80 bräuchten, um 100 Jahre alt werden zu können. Deshalb müssen sich die Wahrheiten zum Thema Muskelpflege noch ändern. Und in diesem Paradigmenwechsel dürfen die Einzelstudios ihre Chance sehen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, die Discounter machten den Markt kaputt. Im Gegenteil: Sie helfen uns, die für die Massenbewegung entscheidende 15 Prozent-Marke einfacher und schneller zu erreichen. In der Vergangenheit haben die Einzelstudios die Infrastruktur für den Fitnessmarkt allein erschaffen müssen. Heute sollten sie sich im weiteren Ausbau der Strassen vom Discount nicht nur unterstützen lassen, sondern sie sollten auch deren Strassen für sich selber nutzen, indem sich darauf konzentrieren, noch viel mehr Menschen auf die Strasse zu bringen. Wenn sie ihr Geld damit verdienen, dass sie nicht nur die eigenen Mitglieder unterrichten, sondern auch die Mitglieder der Discounter und die Menschen, die zuhause oder in den Firmen trainieren, sprengen sie die Grenzen ihrer eigenen vier Wände und können wieder vom gesamten Markt profitieren. Indem sie nicht nur mit der Bereitstellung ihres Marktplatzes, sondern auch auf ihrem Marktplatz Einnahmen generieren, erzielen sie genau die Marge, die sie gegenüber dem Discounter befähigt, in der Bereitstellung von Trainingsgeräten wieder wettbewerbsfähig zu werden. Vielleicht schaffen sie es, ihre Wettbewerbssituation so zu entspannen, dass sie sich den Discounter schon bald nicht mehr auf den Mond wünschen, sondern auf die andere Seite vom Parkplatz. Und das wäre gut so, denn wahrscheinlich wird dort auch schon bald einer stehen.

Auf dem Kompetenzmarkt hat das Einzelstudio eindeutig die besseren Chancen, aber das heisst nicht, dass es hier einfacher wird. Hier gewinnt nicht der billigste, sondern der beste. Und im Wettbewerb darum, der beste zu sein, misst sich das Einzelstudio am Internet. Damit hängt auch hier die Messlatte hoch. „Die Online-Industrie und die Trackerhersteller“, so Mario Görlach, „haben es geschafft, dass die Menschen erstmalig über ihren Körper mehr wissen wollen als über ihr Auto. Ihr Tracker zeigt ihnen, ob ihr Training Erfolg bringt oder nicht. Mit der Erfolgskontrolle durch die App wird der Trainer von seinen Kunden für den Erfolg als auch den Misserfolg verantwortlich gemacht. Deshalb werden die Trainer, die für die Trainingsergebnisse ihrer Kunden nicht die Verantwortung übernehmen, von ihren Kunden entlassen.“

Der Begriff „Kompetenz“ umfasst das „Wissen“, das „Können“ und auch das „Wollen“. Dementsprechend ist die Kompetenz des Trainers nicht mit seinem „Fachwissen“ zu verwechseln. „Trainerkompetenz“ umfasst neben dem Fachwissen des Trainers ebenso dessen Fähigkeiten, sein Wissen zu vermitteln sowie seine „Innere Haltung“, dies auch zu tun. Damit zeichnet sich ein hervorragender Trainer nicht durch sein Wissen aus, sondern durch die hohe „Trainingskompetenz“, über die seine Kunden verfügen. Seine Kunden vertrauen nicht einer App und überprüfen mit der App die Aussagen des Trainers, sondern sie haben das Vertrauen in ihren Trainer, um mit ihm die Fragen zu diskutieren, die sich ihnen in der Auseinandersetzung mit ihrer App ergeben.

Für den Futuristen und Chief-Designer von SAP, Martin Wezowski, ist der Mensch in seiner Auseinandersetzung mit der (digitalen) Technik, „eine Mischung aus maschineller Intelligenz und menschlicher Kreativität“. In einem Interview mit t3n bezeichnete er ihn als „Hum:achine“. Wobei den Menschen nicht vorrangig sein Wissen auszeichnet, in dem er immer mehr von der maschinellen Intelligenz profitiert, sondern von seiner „Neugier und Sinnsuche“. Wir werden zum Mars fliegen, „nicht weil ein Algorithmus das geraten hat – sondern weil wir neugierig sind, was auf dem Mars los ist.“ Und aus diesem Grund wird trotz aller digitalen Möglichkeiten der Trainer im Einzelstudio nicht ersetzbar sein. So wie in einer Klinik die Top-Qualität in der technischen Ausstattung einfach nur vorausgesetzt wird, hängt der Ruf der Klinik aber vor allem vom Ruf seiner Ärzteschaft ab. Ebenso wird der Ruf des Trainers im Einzelstudio immer das entscheidende Differenzierungskriterium des Einzelstudios gegenüber dem Discount sein.

Andreas Bredenkamp

Jahrgang 1959

Studierte Germanistik und Sport, Autor des Buches „Erfolgreich trainieren“ und des „Fitnessführerscheins“