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Agiles Management: Ist Personalführung ohne Hierarchie die Zukunft?

Dr. Kai Pauling

Als ich, Roger Gestach, das Thema für diesen Artikel vorschlug, war mir nicht klar, wie schwierig es sein würde, dieses Thema auf die vereinbarte Seitenzahl zu komprimieren. In meinen Augen ist der Bereich der Personalführung nicht nur ein nahezu unerschöpfliches Diskussionsthema, sondern ebenfalls mit vielen persönlichen Erfahrungen, Meinungen und bei manchen teilweise mit Vorbehalten oder Irrglauben verbunden, sodass es eine möglichst umfangreiche Betrachtung verdient. Die Wissenschaft versucht seit Generationen hinter das Geheimnis erfolgreicher Führungspersönlichkeiten zu gelangen, um davon möglichst allgemeingültige Regeln abzuleiten oder die Suche und Auswahl des potenziellen Führungsnachwuchses zu optimieren.

Es wird Sie sicher nicht verwundern, dass je nach Dekade, Land, Forschungseinrichtung und politischer Einstellung unterschiedlichste Ansätze propagiert werden. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel erstens aus meiner persönlichen Perspektive zu schreiben, damit Sie als Leser dies direkt als Meinungsäusserung erkennen können, die wenn auch fachlich fundiert, jedoch letztendlich immer noch meine individuelle Sichtweise ist. Zweitens werde ich mir einen allgemeinen, erklärenden wissenschaftlichen Teil ersparen und für diesen, sollte bei Ihnen weiteres Interesse bestehen, auf ein, meiner Meinung nach, exzellentes Buch verweisen „Führungsstile: Prominenten und Persönlichkeiten über die Schulter geschaut“ von Rolf van Dick und Louisa Fink.

Viele von Ihnen werden sich noch an die Zeit des Fitnessstudiobooms in den 80igern erinnern. Viele ehemals begeisterte und mehr oder weniger erfolgreiche Bodybuilder machten ihr Hobby zum Beruf und eröffneten ihre eigene „Muckibude“. Das oftmals mangelnde Know-how in Betriebswirtschaft, Marketing und vor allem Personalführung sollte durch die Grösse ihrer Muskeln und den Erfolg beim „Pumpen“ und Platzierungen bei Meisterschaften kompensiert werden. Zu dieser Zeit war ein Führungsstil nach dem Motto „Hart in der Sache und hart zu den Mitarbeitenden“ weit verbreitet. Nicht selten fühlten sich Studioinhaber als Meister und behandelten ihre Mitarbeiter als Untertanen, die in ihren Augen natürlich keineswegs auch nur annährend so viel Ahnung besassen wie sie selbst. Und genau aus diesem Grund gab es in solch geführten Unternehmen meist kein Teamwork, sondern nur einen Boss, der alles und jeden eng an der Kandare hielt und niemals bereit war, die Zügel der Kontrolle und damit seine Macht aus den Händen zu geben. Noch heute gibt es selbst ernannte Gurus, die in Seminaren ein Führungs- bzw. Mitarbeitermodell vertreten, das auf strikte nahezu diktatorische Prozesse setzt, z. B. genau vorformulierte Gesprächsleitfäden, die von den Mitarbeitern herunterzubeten sind (Stichwort Einwandbehandlung). Das Internet ist voll von Erfahrungsberichten ehemaliger Mitarbeiter, die unter dem ewigen Druck zu leiden hatten, den Vorgesetzte mit     unerfüllbaren Leistungsvorgaben oder absolut unsinnigen Arbeits- bzw. Verhaltensanweisungen auf sie ausübten. Dabei ist es nicht mehr nur eine Elternweisheit, dass Druck meist das Gegenteil bewirkt. „Die Forschung hat gezeigt, dass es am besten ist, die Mitarbeiter rational davon zu überzeugen, dass das gewünschte Verhalten notwendig ist. Auch inspirierende Appelle und Konsultation können geeignete Methoden der Einflussnahme sein. Am wenigsten erfolgreich hat sich Druck erwiesen – wenn man mit Drohungen und Druck versucht, Mitarbeiter zu etwas zu bewegen, kann das sogar gegenteilige Effekte haben.“ (Dick & Fink, 2019, S. 16)

Der Chef hat immer Recht

Vorbei also die Zeiten, in denen es nur zwei goldene Regeln gab, die Mitarbeiter zu beachten hatten, erstens hat der Chef immer Recht und zweitens, wenn der Chef einmal Unrecht hat, tritt automatisch die erste Regel in Kraft. Spätestens mit Übernahme der entscheidungstragenden Positionen durch die Generation Z wird sich dies möglicherweise geradezu umkehren. Als Beispiel kann man hier den Ländervergleich zwischen Japan, Deutschland und Schweden heranziehen. Die Studie von GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness) erfasste u. a. die Zustimmung zur Aussage „Manager müssen auf jede Frage ihrer Mitarbeitenden eine präzise Antwort haben“ von etwa 17‘000 Personen des mittleren Managements aus 62 Ländern. Es zeigte sich, dass in Japan 77 Prozent, in Deutschland und der Schweiz nur ca. 30 bis 40 Prozent und in Schweden lediglich 13 Prozent dieser Aussage zustimmten. Beachtenswert ist, dass diese Studie bereits in den 1990er und 2000er Jahren stattfand. Wenn wir bedenken, dass der Unterschied im Verlauf der Jahre im Sinne von konservativen Führungsansichten zwischen Deutschland gegenüber Schweden in etwa vergleichbar mit dem Unterschied zwischen Japan und Deutschland ist, wird verständlich, dass bei der fortschreitenden eher politisch links orientierten Gesellschaftsentwicklung der Generation Z die Werte in Deutschland schnell auf das schwedische Niveau absinken könnten.

Wer jedoch glaubt, dass damit im Umkehrschluss die Post-68iger-Pädagogik mit ihren antiautoritären Führungsideen gewonnen hätte, der irrt ebenso. „Die Forschung zeigt ganz eindeutig in zwei Metaanalysen, dass transformationale Führung effektiv und effektiver als Laissez-Faire- oder Management-by-exception-Führungsverhalten ist (Judge und Piccolo, 2004; Wang, Oh, Courtright, und Colbert, 2011).“ (Dick & Fink, 2019, S. 9)

In der letzten Ausgabe wurde ausführlich über die Generation Z berichtet (Personalmanagement der Zukunft Herausforderung Generation Z, FT Nr. 180, S. 56-59). Im Artikel schrieb ich „Und vor allem in den Köpfen der „Alten“ wird sich viel ändern müssen“ und „Letztendlich wird es keine Alternative geben, als sich den neuen Herausforderungen zu stellen und sowohl das eigene Denken, Handeln und womöglich die gesamte Unternehmensstruktur anzupassen“, sowie „Dies beginnt bei flachen Hierarchien mit ergebnisorientierten agilen Managementstrukturen mit klarer Kommunikation und direkten Arbeitsanweisungen.“

Flache Hierarchie nicht gleich flache Hierarchie

In vielen Selbstdarstellungen oder Stellenanzeigen versuchen Unternehmen sich mit flachen Hierarchien zu brüsten. Beim genaueren Blick hinter die Fassaden stellt sich dann meist heraus, dass die Betonung eher auf flach im Sinne von Organisationsstufen bis zur Unternehmensspitze liegt, d. h. auf Deutsch, dass einem der oberste Chef quasi täglich direkt persönlich im Nacken sitzt. Dies entspricht wahrlich nicht dem, was ich im Changemanagement dringend empfehle. Wer sich mit den Hauptgründen beschäftigt, aus denen Mitarbeiter in eine negative Spirale aus sinkender Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung geraten, die schlussendlich meist in eine Verweigerungshaltung, Krankmeldung oder gar Kündigung eskaliert, dem wird klar, warum die Betonung auf flach im Sinne von basisorientierter Eigenverantwortung ohne permanente top-down Führung liegen sollte. Die drei wesentlichsten Killer für Mitarbeitermotivation und Hauptgründe für psychische Erkrankungen, Leistungseinbussen und Kündigungen sind in meinen Augen:

  1. Fehlende Anerkennung durch das Unternehmen bzw. Vorgesetzte. Mit Anerkennung ist nicht Lob gemeint, sondern die Wertschätzung der Person und Arbeitsleistung des Mitarbeiters. Viele Chefs halten es noch für absolut selbstverständlich, dass ein Mitarbeiter immer 200 Prozent Leistung für seine 100 Prozent Bezahlung zu geben hat, da das Unternehmen ihm ja quasi die Ehre zu teil werden lässt, für sie zu arbeiten, wo es doch so viele andere Arbeitssuchende gibt, die dankbar für den Job wären.
  2. Es wird kein Sinn in der Arbeit gesehen. Dies bedeutet, dass Mitarbeiter keine Verbindung zwischen ihren Aufgaben und ihrer Person, mit allen qualifikatorischen und individuellen Aspekten, herstellen können und damit auch jeglicher Bezug bzw. jegliche Bindung zur Arbeit bzw. dem Unternehmen verloren geht.
  3. Es besteht kein Vertrauen und es gibt keine Unterstützung. Einerseits wird den Mitarbeitern durch strikte Prozessvorgaben oder die Führungsstrukturen jegliche Partizipation an Entscheidungs-/Entwicklungsprozessen und damit die Möglichkeit zur eigenen Kreativität, Innovation und Entwicklung genommen. Andererseits werden Mitarbeiter nur zu oft ins kalte Wasser geschmissen und sich selbst überlassen, d. h. sie bekommen zwar klare Entscheidung der Vorgesetzten, die sie lediglich umsetzen sollen, aber nicht die dafür notwendige Hilfe oder Rückendeckung, was zu einer permanenten Überforderung und Frustration führt.

Eine mögliche Lösung für die Personalführung und das Management der Zukunft bietet das agile Management. Diese Art der Teamarbeit ist nicht neu und hat sich seit vielen Jahren u. a. in der IT-Industrie etabliert. „Im Jahre 2001 verfassten 17 rebellische Softwareentwickler „The Agile Manifesto“, in dem sie vier agile Werte und Prinzipien festhielten: Menschen vor Prozessen und Werkzeugen, auf Wandel antworten anstatt einem Plan zu folgen, funktionierende Prototypen anstatt exzessiver Dokumentation und schliesslich Zusammenarbeit mit dem Kunden vor rigiden Verträgen. Die Scrum-Methode (Englisch für: Gedränge) basiert darauf.“ (Gabler Wirtschaftslexikon, 2018)

Agiles Management lässt sich wahrlich nicht auf alles und jeden oder gesamte Unternehmen übertragen, dennoch ist es besonders gut in kreativen Prozessen, der Produktentwicklung, dem Marketing, im Vertrieb und Service sowie in strategischen Planungsaktivitäten geeignet.

Chef als Katalysator

In meinem Führungsideal macht sich der klassische Chef selbst entbehrlich. Er muss und soll nicht mehr der alleinige und ausschliessliche Alleswisser, Alleskönner und Allesmacher sein. Der Chef nimmt vielmehr die Rolle eines Katalysators in der Analogie zur Chemie ein, d. h. er sichert bzw. erhöht die Arbeitsleistung durch die Senkung der Störeinflüsse auf dem Weg zur Zielerreichung. Er kümmert sich um die optimalen Rahmenbedingungen, damit die Mitarbeiter ihre Zeit nicht mit der Lösung von Problemen zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit vergeuden müssen, ohne sich dabei jedoch selbst zu verbrauchen,   d. h. dass er weder in die Rückdelegationsfalle tappt noch die Zügel weiterhin in der Hand halten muss. Er verbessert die Kommunikation und den Informationsaustausch in beide Richtungen, von Unternehmen zum Mitarbeiter und Mitarbeiter zur Unternehmensführung, damit es kein Informationsgefälle gibt und alle Stake- und Shareholder Teil einer gemeinsamen Vision werden und zusammen an einem Strang zum Unternehmenserfolg ziehen.

In der Transformation von einer klassischen zur agilen Struktur ist der Chef häufig noch ein Teil des Teams. Oftmals übernimmt er die Position des Coaches im Team. „Er koordiniert, moderiert und ist für das Prozessmanagement zuständig. Er hält dem Team den Rücken frei, klärt etwaige Hindernisse ab und räumt sie aus dem Weg, sodass sich das Team auf die vereinbarten Ziele konzentrieren und eine höhere Qualität liefern kann. Er moderiert die Meetings. Das Team ist eine heterogene, multidisziplinäre Gruppe ohne starre hierarchische Strukturen und besteht aus drei bis neun Mitgliedern, die sich selbst organisieren.“ (Dams, 2019, S. 19)

Wenn die Mitarbeiter jedoch erst einmal in der Selbstorganisation geübt und bereit zur vollen Verantwortungsübernahme sind, sollte sich der Chef auf die Zuweisung der Aufträge/Ziele an die einzelnen Teams beschränken. In den Teams sollen die Positionen, z. B. des Coachs, frei rotieren, damit keine gruppeninternen Hierarchien entstehen. Am Ende trägt der Chef weiter die Verantwortung zur Vernetzung und Einordnung der einzelnen agilen Teams zur Erreichung des gesamten Unternehmensziels. Zwei besondere Herausforderungen liegen dabei darin, einerseits das sogenannte Silodenken unter den verschiedenen Teams und andererseits mögliches Groupthink innerhalb der Teams zu verhindern.

Fazit

Das agile Management bietet eine gute Möglichkeit den Anforderungen der heutigen Zeit und den Ansprüchen der Generation Z gerecht zu werden und der klassischen top-down Führung und Hierarchie zu entwachsen. Es schenkt Mitarbeitern Vertrauen, trägt zu ihrer Sinngebung bei, bietet eine hohe Ergebnisorientierung und damit bessere Chancen für persönliche Erfolgserlebnisse und durch die starke Partizipation verstärkt es, meiner Ansicht nach, die Bindung ans Unternehmen und schlussendlich führt es durch die gestiegene Arbeitszufriedenheit zu einer höheren Arbeitsleistung, geringeren Krankenständen und Fluktuation.

Quellenangaben und Literaturtipps können unter info@fitnesstribune.com angefordert werden.

Über den Autoren

Dr. Kai Pauling ist Dozent und unabhängiger Experte für Sport Management und Business Administration, insbesondere Fitnessmanagement, Change-/Turnaroundmanagement und Unternehmensführung.

Kontakt:

kai.pauling@sporting-expert.com