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Fitnessmythen und deren Realitätsgehalt
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Älter werden – Teil 3

In dieser Kolumne geht es um mentales Gewichtheben.
Wahre Fitness trainiert beides, physische als auch psychologische Muskeln. Viel Spass beim neuronalen Schwitzen.

3. Teil

In diesem Teil geht es nun um den Tod; den eigenen und um jenen unserer Liebsten. Ups, geht es nicht eine Nummer kleiner? Nein. Warum nicht? Weil es alle angeht. Das Leben mag zwar weniger schmerzhaft sein, wenn man den Tod ignoriert und sich auf Zerstreuung fokussiert. Ich finde aber: Ein untrainiertes Gehirn ist genauso schlimm wie ein untrainierter Körper. Ich will Sie also warnen. Wer das Rendezvous mit der Realität nicht aushält, der soll hier bitte aufhören zu lesen…….

Sie sind noch da? Dann legen wir los: Ich habe ein paar Fragen an Sie:

Worüber definieren Sie sich? Worauf sind Sie stolz? Ist es Ihr fitter Körper, Ihre Jugend, die Karriere, das Geld, den Intellekt, die Macht oder sind es Statussymbole? Was immer es auch ist, Sie werden alles verlieren. Spätestens mit dem Tod und das meiste schon viel früher. Das mag nicht leicht zu schlucken sein. Wahr ist es trotzdem.

Welche Menschen sind Ihre Liebsten? Frau, Mann, Kinder, Mutter, Vater, Schwester, Bruder, beste(r) FreundIn? Welche Menschen Sie auch immer lieben, vergessen Sie nie: Es sind endliche Wesen.

Ob Frau, Mann, PartnerIn, Eltern, Kinder aber auch Vermögen, Haus, Job, Gesundheit: Alles ist flüchtig

Es ist uns bloss für die Gegenwart vergönnt. Schon morgen kann es nicht mehr da sein. Alle und alles, was wir im Leben bekommen, ist uns bloss geliehen und wir müssen es irgendwann zurückgeben. Wenn ich diesen Gedanken verinnerlicht habe, dann bin ich auch (viel) weniger traurig, wenn endliche Wesen das tun, was sie eben einmal tun werden: Sterben. Das ist unser Schicksal. Die Realität zu mögen, wenn man sie mag, das ist einfach. Mann muss sie aber auch akzeptieren, wenn man sie nicht mag. Besonders dann.

Das Gute an diesen rustikalen Gedanken ist, dass man sich der Kostbarkeit der eigenen Zeit bewusster wird. Die Zeit, die wir mit unseren Liebsten erLEBEN, erhält einen viel höheren Wert. Und der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen andere Menschen wie die Luft zum Atmen. Die Begegnungen, die wir mit anderen Menschen teilen, haben einen grossen Einfluss auf unser Leben und auf das eigene Glücksbarometer.

Wer aber sozial verarmt, weil er ständig trainiert oder nur noch in die eigene berufliche Karriere investiert, der muss wissen, dass es kaum etwas nützen wird, wenn man später die fitteste oder die reichste Leiche ist, die nun auf dem Friedhof verrottet.

Die Stoiker – eine griechische Philosphieschule – malten das Bild von zwei Kreisen (siehe Skizze). Kreis 1 beinhaltet alle Dinge, die man beeinflussen kann. Im Kreis 2 befinden sich die Dinge, die nicht unserem Einfluss unterliegen. Was wir beeinflussen können, das sollten wir anpacken. Was nicht in unserer Macht steht, darüber sollten wir uns keine Gedanken machen. Der Tod zum Beispiel, der liegt ausserhalb unserer Kontrolle. Jede Flucht vor dem Tod ist zwecklos. Was wir auch machen oder wie stark wir uns davor fürchten. Die Biologie ist immun gegenüber unseren Gefühlen und Gedanken. Der Tod; er ist eine Realität. Die Angst davor ist eine mentale Option. Ich kann auch anders denken. Und der Tod kann schon deswegen keine so grosse Sache sein, da es bisher alle geschafft haben, zu sterben. Wir werden es sicher auch hinkriegen. Epikur, ein Stoiker, sagte treffend: Der Tod geht mich nichts an. Denn solange ich bin, ist der Tod nicht da. Sobald er da ist, bin ich es nicht mehr. Alles geht also vorbei – auch unser Tod.

Vor einiger Zeit starb meine Mutter mit 82 Jahren. Ich war sehr traurig. Ich wusste aber auch, dass der Tod eines alten Menschen keine Tragödie ist. Die Biologie ist keine Freundin des langen Lebens. Die Biologie entsorgt das Alte sukzessive ab und sie reinvestiert in das Junge. Das ist der Lauf des Lebens. Das Leben ist zu 100 Prozent tödlich. Ich wusste: Das Leben hat mir meine Mutter bloss geliehen. Dank diesem Gedanken empfand ich rasch eine grosse Dankbarkeit für die Momente, die wir gemeinsam teilten. Ich weinte nicht (mehr), weil etwas vergangen war, ich lächelte, dass es gewesen ist.

Es ist ein Glück, dass wir sterben können. Sie haben richtig gelesen. Wenn wir nämlich sterben können, bedeutet es, dass wir es bis zum Leben geschafft haben. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn die meisten Menschen werden nie geboren. Wir haben uns zum Beispiel gegen andere Spermien (ca. 200 Millionen) durchgesetzt. Zudem sind wir die letzten einer grossen Serie Überlebender. Wir sollten dankbar für all jene sein, die unsere Vorfahren in heiklen Situationen gerettet, geschützt oder sonst wie geholfen haben. Ja, die Möglichkeit ist gross, dass andere für unsere Vorfahren sogar gestorben sind. Für unsere Existenz waren es alle Helden, denn ohne sie gäbe es uns nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir einmal leben und somit geboren werden, sie war winzig. Wir sind die Gewinner in der Lotterie des Lebens. Die vielen Verlierer sind jene, die nie geboren wurden, weil eben wir auf die Welt gekommen sind. Und auch wir sind nur gekommen, um gleich wieder zu gehen.  Als Wesen mit beschränkter Haltbarkeit, spielen wir bloss für kurze Zeit auf der Bühne des Lebens mit.

Der Tod ist weder ein Systemversagen noch eine persönliche Beleidigung, sondern der Lauf der Dinge. Die Natur wird uns ohne Rückstände rezyklieren. Werner Kieser hat in seinen lesenswerten Büchern einmal geschrieben, dass sobald wir unsere Gene weitergereicht haben, wir für die Evolution unwichtig werden.  Leben bedeutet: Gross werden – Gene weitergeben – Ableben. Er hat recht und liegt gleichzeitig falsch. Recht hat er, wenn man den Mensch auf eine biochemische Maschine reduziert, die bloss genetisches DNS-Material weitervererbt. Wir haben aber zwei Vererbungssysteme. Deswegen liegt Kieser falsch. Denn der Mensch gibt auch eine kulturelle DNS weiter. Zum Beispiel Respekt, Freundlichkeit, Philosophie, Religion usw.  Die genetische DNS ist mit der Zeugung abgeschlossen. Die kulturelle fängt aber erst nach der Geburt an. Eltern, Grosseltern und andere haben die wertvolle Aufgabe die kulturelle DNS weiterzugeben. Das ist ein schöner Auftrag.  Etwas weiterzugeben, dass mich überleben wird. Wir können unseren Nachfahren viel Wertvolles mitgeben, wie auch wir viel von unseren Vorfahren erhalten haben. Die Zeit ist eine grossartige Lehrerin. Gleichzeitig wird sie uns später umbringen. Es ist also wertvoll, wenn wir jeden Tag als Chance nutzen, um einen gewinnenden Beitrag für unsere Umgebung zu leisten.

Folgender Gedanke habe ich bei Rolf Dobelli gelesen und etwas abgeändert: ‚Nach meinem Tod wird wohl noch mein Sohn eine Weile von mir sprechen. Hoffentlich auch noch meine Freundin. Vielleicht sogar noch meine Enkelkinder. Dann aber ist Schluss. Dann wird Eric-Pierre Zürcher vergessen sein – und genau so soll es auch sein.’ Dieser Gedanke hilft, dass man sich im Leben nicht zu wichtig nimmt und an Gelassenheit gewinnt. Wir sind eine kleine Note im grossen Lied des Lebens.

Im christlichen Glauben ist das irdische Leben bloss Durchgangstation. Das kann man glauben oder nicht. Glauben heisst nicht wissen. Was wir mit Sicherheit wissen: Eines Tages sterben wir. Was wir aber auch wissen sollten: An allen anderen Tagen tun wir es nicht.

P.S. Mit meiner Kolumne möchte ich jeweils Gedanken weiterleiten, welche die Leser als wertvoll empfinden. Ja, es ist meine Motivation, die Leser mit neuen – eventuell überraschenden – Gedanken zu infizieren. Wenn damit die Lebensqualität gehoben wird, ist das Ziel erreicht. Diesen Bericht widme ich aber besonders meiner Mutter. Ich trag Dich bei mir, bis auch mein Vorhang fällt.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch